Die Prostata von Arnold Bolliger aus Herisau AR (Name geändert) wurde vor einigen Jahren immer grösser. Sie drückte auf die Blase. Folge: häufiger Harndrang. «Ich musste oft mitten in der Nacht aufs WC rennen», erinnert sich der heute 72-Jährige. Medikamente vertrug er nicht gut. Auch seine Libido nahm ab: «Ich hatte keine Lust mehr, mit meiner Frau zu schlafen.» Um die Beschwerden zu lindern, setzte er auf ein Präparat mit Sägepalmextrakt.
Wie Bolliger geht es Tausenden älterer Männer. Tröpfelt der Strahl, greifen sie zu Extrakten aus Sägepalme oder Kürbiskernen. Denn bis vor kurzem galten diese pflanzlichen Produkte als wahre Wundermittel. So zeigte etwa eine vor 20 Jahren publizierte Studie der Universität Münster mit 1000 Patienten auf: Bei Patienten, die Sägepalmextrakte verwendeten, verkleinerte sich die Prostata fast gleich rasch wie nach der Einnahme von Medikamenten. Auch das Forschernetzwerk Cochrane fand 2002 in einer Übersichtsstudie heraus, dass Sägepalmextrakte Harnsymptome und den Harnfluss «leicht bis mässig» verbessern konnten. Die Forscher werteten die Daten von 3000 Männern aus.
Doch neuere Untersuchungen sind ernüchternd. So kam Cochrane im Jahr 2012 zum Schluss, dass Sägepalmpräparate nicht wirksamer sind als Placebo-Medikamente. Vor wenigen Wochen kam Medizintransparent.at – der österreichische Ableger von Cochrane – zum selben Schluss.
Bei Extrakten mit Kürbiskernen sieht es nicht anders aus. Zwar ergab eine deutsche Studie mit 1400 Männern, dass Kürbiskernextrakte die Prostataprobleme lindern können. Die Ergebnisse erschienen 2015 im Fachblatt «Urologia Internationalis». Doch die Studie war vom Hersteller des Extrakts mitfinanziert. Zwei Jahre später prüfte Medizintransparent.at die Studien. Fazit: Es gibt keinen Beleg für die Wirksamkeit von Kürbiskernen.
Dennoch raten Experten, in einer frühen Phase der Beschwerden eher auf pflanzliche Extrakte als auf Medikamente zu setzen. Das ist dann der Fall, wenn die Betroffenen mehr als ein- bis zweimal pro Nacht Wasser lassen müssen. Stephanie Wolff, Ärztin aus Bülach ZH, sagt: «Wenn die Prostata nur leicht vergrössert ist, kann man die Therapie mit Pflanzenextrakten beginnen.» Der Zürcher Hausarzt Thomas Walser empfiehlt Produkte, die Sägepalm- und Brennnesselwurzelextrakte kombinieren – etwa Prostagutt. Ein solches Präparat kann die Bildung bestimmter Stoffe hemmen, welche die Prostata wachsen lassen. Einer der Gründe für die Empfehlung: Im Gegensatz zu Medikamenten haben Pflanzenextrakte viel weniger Nebenwirkungen. Das zeigt eine Studie mit 800 Männern aus dem Jahr 2002. Die Forscher wiesen nach, dass Patienten, die Extrakte der Sägepalme nahmen, weniger Probleme mit der Ejakulation hatten als Versuchsteilnehmer, die Medikamente schluckten. Die Ergebnisse wurden im Fachblatt «European Urology» publiziert.
Medikamente können Erektionsprobleme auslösen
Experten raten erst zu Medikamenten, wenn die Beschwerden stärker werden. Das ist dann der Fall, wenn nach dem Harnlösen der Harndrang bestehen bleibt. «Dann kommt man nicht mehr um chemische Mittel herum», sagt Stephanie Wolff. Die Medikamente greifen in den Hormonhaushalt ein und verkleinern die Prostata oder bremsen das Wachstum. Nachteil: Die Medikamente können Schwindel oder Erektionsprobleme auslösen.
Zu den meistverkauften Medikamenten gehören Tamsulosin Mepha oder Finasterid Sandoz. Laut dem Branchenverband Interpharma wurden 2020 über eine halbe Million Packungen mit dem Wirkstoff Tamsulosin und über 50 000 Packungen Finasterid verkauft.
Novartis schreibt, die Nebenwirkungen von Finasterid würden im Lauf der Behandlung «in einigen Fällen» von selbst verschwinden. Mepha Schweiz schreibt, durch ein Anpassen der Dosis von Tamsulosin könne man in vielen Fällen Störungen bei der Ejakulation vermeiden.
Dies hilft bei vergrösserter Prostata
Stadium 1: Pflanzenextrakte sind sinnvoll, wenn…
- man am Tag häufiger zur Toilette gehen muss als früher
- man pro Nacht mehr als ein- bis zweimal zur Toilette gehen muss
- man Mühe hat beim Harnlösen
- der Harnstrahl abgeschwächt ist
- man nach dem Wasserlassen Urintropfen verliert
Stadium 2: Chemische Medikamente sind besser, wenn…
- die Symptome von Stadium 1 verstärkt auftreten
- Betroffene zusätzlich die Blase nicht ganz leeren können
- der Harndrang nach dem Toilettengang bestehen bleibt
Stadium 3: Eine Operation wird erst dann nötig, wenn…
- man immer nur kleine Mengen Harn lösen kann
- sich die Harnblase überdehnt und krampfartige Schmerzen verursacht
- der Harn bis zu den Nieren aufsteigt (das stellt der Arzt mit Ultraschall fest)
- der Arzt sagt, es drohe ein Nierenversagen
So bleibt Ihre Prostata gesund
- Essen Sie viele Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe
- Verzichten Sie auf scharfe Gewürze
- Verzichten Sie auf Getränke mit Alkohol und auf Zigaretten
- Treiben Sie mehrmals pro Woche Sport
- Haben Sie viel Sex
- Lassen Sie sich beim Wasserlassen Zeit und pressen Sie nicht