Heidi Bürkli wacht jede Nacht um drei Uhr auf, weil sie einen starken Bewegungsdrang in den Beinen spürt. «Um welche Zeit ich ins Bett gehe, spielt dabei keine Rolle», sagt die 76-Jährige aus Elgg ZH. In den frühen Morgenstunden muss sie fast immer aufstehen, weil sie es im Bett nicht mehr aushält. Sie hat das Restless-Legs-Syndrom (RLS). Bei der Nervenkrankheit RLS haben Patienten den starken Drang, ihre Beine zu bewegen, und teilweise auch Schmerzen.
Die Symptome werden schlimmer in der Nacht oder in Ruhephasen, sodass Betroffene nicht gut schlafen können. Die genaue Ursache ist unbekannt. Forscher nehmen an, dass bei RLS zu wenig Eisen oder Dopamin im Körper ist. Der Leidensdruck kann gross werden. Hausärztin Martina Frei aus Gränichen AG sagt: «Manche Patienten werden fast verrückt.» Wenn die Lebensqualität stark leide, könne man ein Medikament einnehmen. Das sollte man aber sorgfältig abwägen, denn die Mittel haben zum Teil happige Nebenwirkungen.
Heidi Bürkli nimmt etwa drei Mal im Monat ein Medikament mit dem Wirkstoff Levodopa. Es gehört zu den Medikamenten gegen Parkinson und ist auch für RLS zugelassen. Es erhöht im Gehirn die Menge des Botenstoffs Dopamin. Man kann Levodopa wie Heidi Bürkli ab und zu zum Durchschlafen, für Kinobesuche oder längere Reisen einnehmen. Langfristig sollte man es aber nicht verwenden.
Verlust der Impulskontrolle und Spielsucht
Der Nervenarzt Johannes Mathis aus Bern warnt: «Levodopa kann die Symptome bei regelmässiger Einnahme sogar verschlimmern.» Eine weitere mögliche Nebenwirkung ist der Verlust der Impulskontrolle, was etwa zu Spielsucht führen kann. Und Levodopa kann abhängig machen. Auch andere Parkinson-Medikamente mit den Wirkstoffen Pramipexol, Ropinirol und Rotigotin erhöhen den Dopaminspiegel. Eine grosse Übersichtsstudie bestätigte 2016, dass sie zumindest besser als ein Placebo wirken.
Auch sie können abhängig machen und die gleichen Nebenwirkungen wie Levodopa haben. Zudem können sie auch die RLS-Symptome verstärken. Das Risiko dafür ist etwas geringer, steigt laut Johannes Mathis aber, je länger man sie einnimmt: «Diese Medikamente sollten deshalb nur ältere Patienten einnehmen.»
«Nebenwirkungen meist von der Dosis abhängig»
Epilepsie-Medikamente mit den Wirkstoffen Gabapentin und Pregabalin eignen sich auch für das Behandeln von Nervenschmerzen, wie sie bei RLS manchmal auftreten. Die Medikamente hemmen die Nervenreizung. Einzelne Studien belegen den Nutzen, aber Übersichtsarbeiten fehlen. Gabapentin und Pregabalin können ebenfalls abhängig machen und unangenehme Nebenwirkungen haben. Deshalb ist laut Mathis das richtige Dosieren wichtig. «Die Nebenwirkungen sind meist von der Dosis abhängig», sagt er.
Wenn Epilepsie- und Parkinson-Medikamente zu wenig nützen, verschreiben Ärzte auch starke Schmerzmittel mit den Wirkstoffen Oxycodon, Methadon oder Buprenorphin. Sie sind für langanhaltende Schmerzen zugelassen, wie sie unter RLS auftreten können. Auch diese Stoffe helfen laut einer Übersichts-Studie besser als ein Placebo. Doch Ärzte sollten sie wegen der hohen Risiken zurückhaltend verschreiben. Das Risiko, davon abhängig zu werden, ist noch höher als bei den anderen Medikamenten.
Die Mittel können starke Nebenwirkungen wie Atembeschwerden verursachen. Heidi Bürkli hat mittlerweile Strategien gegen ihre Beschwerden entwickelt. Wenn sie nachts wach wird, steht sie auf und lenkt sich mit dem Lösen von Kreuzworträtseln und Sudokus ab oder liest etwas. Manchmal hilft auch das Abduschen der Beine. «Sobald der Drang nachlässt, gehe ich zurück ins Bett», sagt sie. Die Firma Grünenthal schreibt, Buprenorphin sollte man «nur unter individueller sorgfältiger Berücksichtigung der Nutzen und Risiken» einnehmen.
Mepha schreibt saldo, ihr Medikament Pramipexol könne die RLS-Symptome verstärken und zu Impulsstörungen wie Essattacken, gesteigerter Sexlust oder Kaufsucht führen. Ärzte sollten dann ein schrittweises Absetzen des Medikaments in Betracht ziehen.
So lindert man die Beschwerden
- Reduzieren Sie Kaffee und Alkohol. Diese können die Symptome verschlimmern.
- Konzentrieren Sie sich auf etwas anderes. Lesen Sie, oder lösen Sie Rätsel.
- Duschen Sie die Beine ab oder baden Sie die Füsse. Einigen Patienten hilft kaltes Wasser, anderen warmes.
- Massieren Sie Beine und Füsse mit Arnika- oder Lavendelöl ein. Das fördert die Durchblutung.
- Klären Sie beim Arzt ab, ob Sie Eisen-Präparate einnehmen sollen.