Das Narkosemittel Ketamin ist berüchtigt als Droge, die teils heftige Halluzinationen verursachen kann. Seit einiger Zeit experimentieren auch Psychiater mit Ketamin. Sie gaben schwer depressiven Menschen Infusionen mit kleinen Mengen des Narkosemittels – obwohl dieses für die Therapie von Depressionen gar nicht zugelassen ist. Das Mittel wirke «schnell und anhaltend», jubelte die Fachzeitung «Medical Tribune» vor drei Jahren. Fachleute warnten vor solchen Experimenten (saldo 8/2017).
Trotzdem liessen die Schweizer Heilmittelbehörden kürzlich das erste Ketaminmedikament zu: Spravato der Firma Janssen-Cilag. Der Patient sprüht das Mittel unter Aufsicht eines Arztes in die Nase. Es soll bei schwer Depressiven die trübe Stimmung bessern und Suizidgedanken vertreiben.
Spravato schnitt in Studien schlecht ab
Experten wie der deutsche Depressionsforscher Peter Ansari raten von Spravato ab. Der Nutzen sei gering. In Studien schnitt Spravato kümmerlich ab: Nur in einer von drei Untersuchungen wirkte der Nasenspray innerhalb eines Monats besser als ein Placebo-Medikament. Unklar ist auch, ob er langfristig hilft und Vorteile gegenüber anderen Therapien hat. Das habe man bisher nicht untersucht, kritisierte kürzlich die britische Gesundheitsbehörde NICE. Ärzte dürfen Spravato nur zusammen mit anderen Medikamenten gegen Depressionen verschreiben. Für Ansari ist klar: «Das zeigt, dass der Spray selbst nur wenig nützt.»
Die Nebenwirkungen können aber gravierend sein. «Viele Leute entwickeln unter Ketamin Halluzinationen», warnt Ansari. Daraus könne sich eine Psychose mit Wahnvorstellungen entwickeln. Zudem lässt Ketamin den Blutdruck um bis zu 40 Einheiten hochschnellen. Das kann lebensgefährlich sein. Australische Forscher der Universität Sydney mussten wegen dieser Nebenwirkungen eine Studie abbrechen.
Anwendung in Sprayform kann gefährlich sein
Studienleiterin Colleen Loo sieht das Problem vor allem in der Anwendung als Nasenspray: «Sie ist nicht so einfach wie vermutet.» Man könne damit die Dosis nur schwer kontrollieren. Die Patienten nahmen über die Nasenschleimhaut sehr unterschiedliche Mengen Ketamin auf. Die Studie verwendete zwar nicht den Spravato-Spray. Doch die Vorgabe in der Packungsbeilage zeigt, dass auch dieser riskant sein kann: Der Arzt muss den Patienten nach Anwendung des Sprays mindestens zwei Stunden lang überwachen. Falls es zu einem Herz- und Atemstillstand kommt, muss er ihn wiederbeleben können. Der Psychiater Piet Westdijk aus Basel hält Ketamin für eine «sehr gefährliche Droge». Er würde sie bei depressiven Patienten nie einsetzen.
Zudem sind die Kosten für den Spray happig: In der EU kostet die Behandlung bis zu 2400 Euro pro Monat. Patienten erhalten einmal pro Woche zwei bis drei Portionen Spravato. Peter Ansari: «Zu kostspielig für den geringen Nutzen.» Wie teuer Spravato in der Schweiz sein wird, ist noch nicht festgelegt. Ebenfalls unklar ist, ob die Krankenkassen die Kosten übernehmen werden.
Medikamente allein genügen meistens nicht
Gegen Depressionen gibt es viele bewährte Medikamente. Bei einer schweren Form der Krankheit geht es meist nicht ohne Tabletten. Allerdings verbessern sie die Beschwerden nur bei rund der Hälfte der Patienten. Fachleute empfehlen deshalb eine kombinierte Therapie. Dazu gehören auch Psychotherapie und Bewegung. Hilfreich sind zudem Lichttherapie und Pflanzenmittel wie Johanniskraut.
Hersteller Janssen Cilag schreibt, dass Spravato bei Patienten, denen bisher keine Therapie half, die depressiven Beschwerden «klinisch relevant» vermindere. Der Nutzen sei grösser als die Risiken. Spravato wirke «rascher und nachhaltiger» als andere Therapien und würde dadurch Kosten reduzieren. Der Blutdruck steige im Allgemeinen nur für kurze Zeit an. Auch die psychischen Nebenwirkungen seien meist mild bis mässig. Psychosen seien in Studien nicht aufgetreten.
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