Der Internetversand Myprotein wirbt mit vollmundigen Sprüchen für seine Vitaminkapseln «Energy»: Mit diesem «kraftvollen» Produkt könne man «neue Energie tanken». 30 Kapseln kosten 14 Franken. Zurückhaltender vermarktet der Hersteller Burgerstein seine B6 Tabletten: Er empfiehlt sie unter anderem Frauen, die mit der Pille verhüten. 100 Tabletten kosten rund 40Franken.
Die Dosierungen beider Produkte sind allerding sehr hoch: Eine der Kapseln von Myprotein.ch enthält 50 Milligramm Vitamin B6 – das entspricht etwa dem 35-Fachen des Tagesbedarfs. Eine BurgersteinTablette enthält sogar das Doppelte, also die 70fache Tagesdosis. Der Zürcher Hausarzt Thomas Walser sagt: «So grosse Mengen Vitamin B6 sind jenseits von Gut und Böse.»
Zu hohe Mengen können Nerven schädigen
Vitamin B6 ist zwar wichtig für den Stoffwechsel. Es hilft dem Körper, die Aminosäure Homocystein zu verarbeiten. Das ist wichtig für die Funktion der Nerven und der Hormone. Doch hohe Mengen des Vitamins können Nervenschäden verursachen.
Das zeigt eine Auswertung des Instituts Lareb in der niederländischen Stadt ’sHertogenbosch: In den vergangenen 20 Jahren gingen dort gegen 240 Meldungen zu Nervenschäden durch Vitamin B6 ein. Die Betroffenen litten unter Anzeichen wie Kribbeln, Taubheit oder Schmerzen an Händen und Füssen.
Für Stefan Weiler, Oberarzt und Pharmakologe am Inselspital Bern, zeigt dies: «Auch eine mässige Dosis kann gesundheitliche Risiken bergen, wenn man sie über längere Zeiträume einnimmt.» Das schreibt Stefan Weiler in der Fachzeitschrift «Pharma Kritik». Dominik Straumann, Leitender Arzt an der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich, sagt: «Nervenschäden weger hoher Dosen an Vitamin B6 sind zwar selten.» Sehr hohe Dosen über längere Zeit könnten aber zu bleibenden Schäden führen.
Der Präventivmediziner David Fäh von der Berner Fachhochschule hat kürzlich von einer Patientin in einem Universitätsspital erfahren. Die Frau hatte neurologische Störungen wegen einer viel zu hohen Vitamin-B6-Zufuhr.
Bei der Arzneimittelbehörde Swissmedic sind in den vergangenen 18 Jahren drei Meldungen wegen Nervenschäden durch B6 eingegangen. Die Behörde vermutet, dass «das Bewusstsein» für die Problematik in der Schweiz noch nicht so gross ist.
Hersteller Burgerstein verweist auf den Beipackzettel seines Produkts. Das Riskante Vitaminkapseln mit 70-facher Tagesdosis «So grosse Mengen Vitamin B6 sind jenseits von Gut und Böse.» Thomas Walser Zürcher Hausarzt Unternehmen hat nach eigenen Angaben keine Kenntnisse von Meldungen über Nervenschäden im Zusammenhang mit seinem VitaminB6-Präparat.
Auch Hüftbrüche und Lungenkrebs nachgewiesen
Schon früher wiesen Forscher auf andere gesundheitliche Risiken von hochdosiertem Vitamin B6 hin. Eine Studie der Universität in Taoyuan City (Taiwan) mit 77'000 Teilnehmern zeigte: Wer über mehrere Jahre mehr als 20 Milligramm Vitamin B6 und zudem auch täglich Vitamin B12 schluckt, hat ein deutlich erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Zwei Studien der Universität Oslo (Norwegen) konnten belegen, dass Hüftbrüche bei Frauen in den Wechseljahren anstiegen, wenn sie über längere Zeit Vitamin B6 eingenommen hatten.
Hohe Dosen können zudem die Wirkung von Medikamenten stören. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Frauen, pro Tag 1,2 Milligramm Vitamin B6 zu sich zu nehmen, Männern 1,5 Milligramm. Als tolerierbare Zufuhr aus allen Quellen gilt laut der Gesellschaft eine Obergrenze von 25 Milligramm. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit wiederum nennt seit 2023 einen Höchstwert von 12 Milligramm. Um den Bedarf an Vitamin B6 zu decken, sind meistens keine teuren Vitaminpräparate nötig.
Denn Vitamin B6 steckt in vielen Lebensmitteln. Präventivmediziner David Fäh sagt: «Wer sich ausgewogen ernährt, nimmt mit dem Essen genügend Vitamine auf.»
Das sollten Sie über Vitamin B6 wissen
- Gesunde Leute brauchen keine zusätzlichen Vitaminprodukte.
- Viel Vitamin B6 hat es in Fleisch, Geflügel, Fisch, Nüssen, Samen, Kernen, Hülsenfrüchten, Eiern, Gemüse und Getreide.
- Ein Risiko für Vitamin-B6 Mangel haben Alkoholkranke, Senioren in Pflegeheimen oder Leute mit chronischen Darmkrankheiten.