Vor vier Jahren erfüllten sich der Pensionär und seine Frau ihren langgehegten Traum – ein eigenes Haus im Grünen. Das Glück schien vollkommen. Doch schon wenige Tage nach dem Einzug fühlte sich das Paar durch «Lärmimmissionen» aus der benachbarten Fabrikliegenschaft gestört. RockBands würden dort regelmässig «satanistische Musik» spielen. Bässe und Schlagzeug höre man jeden Abend bis 22 Uhr, teils auch noch danach. «Sogar am Wochenende sind die Bands am Spielen.»
«Wegen des Lärms können wir nie draussen sitzen»
«Ich fordere die Beseitigung der Lärmbelästigungen ab 19 Uhr. Ab diesem Zeitpunkt darf nicht mehr geprobt werden», sagt der Rentner, der ohne Anwalt vor dem Einzelrichter am Bezirksgericht Kulm AG erschienen ist. Der Kanton habe bei seinem Wohnhaus Lärmmessungen durchgeführt. Der geltende Grenzwert von 50 Dezibel sei dabei überschritten worden. «Wegen dieses lästigen Lärms können wir nie draussen sitzen.» Nicht einmal die Fenster könne man geöffnet lassen. Und selbst beim Fernsehen sei der Lärm sehr störend.
Der Vermieter der Übungsräume erklärt dem Richter, er vermiete die ehemalige Fabrik schon seit 2008 an Rockbands. «Ich sage ihnen immer wieder, sie sollen die Fenster schliessen.» Er weise auch regelmässig auf die Nachtruhezeit ab 22 Uhr hin. Daran hielten sie sich. Bei einem Wohnhaus in einer Industriezone müsse man halt ab und zu mit etwas Lärm rechnen.
Darauf entgegnet der Rentner: «Der Industrielärm ist kein Problem, bloss die Musik, besonders die Verstärker.» Würden die Bands ohne Verstärker spielen, wäre dies schon viel besser.
Grenzwert wird bei den Schlafräumen eingehalten
Der Vermieter erklärt, er habe dem Kläger angeboten, die Fenster der Übungsräume zu isolieren. Das habe dieser aber unverständlicherweise abgelehnt. «Ausserdem finde ich es seltsam, dass sich nur der Kläger gestört fühlt, nicht aber andere Anwohner.»
Der Richter stellt fest, dass der zulässige Höchstwert bei der einmaligen Messung zwar geringfügig überschritten worden sei, jedoch nur «im östlichen Teil des Hauses. Nicht aber dort, wo sich die Wohn- und Schlafräume befinden». Zudem hätten sich die Gemeindebehörden bisher nicht veranlasst gesehen, «von Amtes wegen einzuschreiten». Dies deute darauf hin, dass «die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden».
Der Rentner lehnt den Vergleichsvorschlag ab
Nach einem Augenschein vor Ort schlägt der Richter einen Vergleich vor. Die Fenster in den Bandräumen in Richtung des Klägers sollten ab 19 Uhr geschlossen und die Storen stets heruntergelassen sein. Ab 22 Uhr dürften keine Verstärker mehr eingesetzt werden.
Damit ist der Vermieter einverstanden. Der Kläger lehnt den Vorschlag ab. Das bringe nichts.
Schliesslich muss der Einzelrichter entscheiden. Er weist die Klage ab. Dem Rentner sei bereits beim Kauf des Hauses klar gewesen, dass sein Haus in der Industriezone liege. Er habe auch gewusst, dass «in der Nachbarliegenschaft Rock- und Heavy-Metal-Bands eingemietet waren». Das Anliegen, dass die Bands ab 19 Uhr ohne Verstärker proben müssten, sei nicht umsetzbar: «Eine Heavy-Metal-Band ohne Verstärker wäre zu vergleichen mit einem Auto ohne Motor.»
Für das Rentnerpaar wird die Klage teuer: Es muss die Gerichtsgebühren von Fr. 2272.50 alleine übernehmen.
Massgebend ist der «Durchschnittsmensch»
Immissionen von einem Grundstück auf ein anderes sind zulässig. Die Nachbarn müssen sie dulden, solange sie nicht «übermässig» sind. Das steht im Zivilgesetzbuch.
Ob eine Immission – zum Beispiel Lärm, Gestank, Rauch – übermässig und damit unzulässig ist oder nicht, ist eine Ermessensfrage. Laut Bundesgericht müssen die Richter im Streitfall die Interessen der Beteiligten abwägen, wobei sie «den Massstab des Empfindens eines Durchschnittsmenschen» zugrunde legen müssen. Sprich: Die Gerichte dürfen nicht einfach auf das persönliche Empfinden der Parteien abstellen. Auch die örtlichen Grenzwerte müssen berücksichtigt werden.