Ende April fanden der 77- jährige Bastian Heer (Name geändert) und seine Ehefrau Annemarie (70) aus Seon AG ein Flugblatt der Ivest AG in ihrem Briefkasten. Das Aargauer Unternehmen wirbt darin mit dem Slogan «Einen alten Baum verpflanzt man nicht» für eine Immobilienrente. Dabei verkaufen Hausbesitzer ihr Eigentum, behalten aber ein lebenslanges Wohnrecht und erhalten vom Käufer zusätzlich eine Rente.
Heer fühlte sich von der Werbung angesprochen. Denn umziehen will er auf keinen Fall. «Das wäre ein riesiges Chaos», sagt er.
Das Ehepaar hat keine Erben, die das Haus übernehmen würden. Bei der Liegenschaft handelt es sich um ein Haus mit Baujahr 1946. Gemäss einer Bankschätzung ist es 1,15 Millionen Franken wert. Darin befinden sich zwei Wohnungen sowie der Coiffeursalon von Annemarie Heer.
Die Ivest AG ist auf Immobilienverrentungen spezialisiert. Sie sucht nach Wohneigentümern, die eine «sofortige Einkommensverbesserung» wollen. Dem Ehepaar offerierte das Unternehmen drei Möglichkeiten. Die erste Variante: Die Heers verkaufen das Haus für 642'000 Franken und erhalten ein Wohnrecht.
Alternativ könnte sich das Paar für eine Einmalzahlung und eine lebenslange Rente entscheiden: Die Ivest offeriert beim Verkauf des Hauses eine Sofortzahlung von 450'000 Franken und zusätzlich eine lebenslange Rente von 910 Franken pro Monat – oder eine Zahlung von 500'000 Franken mit einer Monatsrente von 673 Franken. Auch in diesen beiden Fällen hätte das Ehepaar ein lebenslanges Wohnrecht in seinem Haus.
Immobilienrente nur auf den ersten Blick attraktiv
Alle drei Varianten sind auf den ersten Blick attraktiv. Doch Heers sollten die Rechnung nicht ohne den Fiskus machen. Die Steuerfolgen sind unterschiedlich und können ins Geld gehen:
Wenn Heers das Haus verkaufen, müssten sie die Grundstückgewinnsteuer zahlen – und zwar auf der Basis des gesamten Preises inklusive Wohnrecht. Dies, obwohl sie nur einen Teil des Betrags ausbezahlt erhielten.
Entscheiden sie sich für eine zusätzliche Rente, müssten sie dafür wie bei einer Leibrente im Rahmen von 40 Prozent Einkommenssteuern bezahlen. Als Wohnberechtigte müssten sie auch weiterhin den Eigenmietwert zahlen. Die Steuervorteile der Immobilienrente würden sich darauf beschränken, dass für das Haus keine Vermögenssteuern mehr anfallen würden, da das Paar das Haus verkauft hätte.
Ein Verkauf des Hauses würde die Wohnkosten senken, weil das Paar mit der Sofortzahlung die Hypothek von 340 000 Franken zurückzahlen und sich künftig Hypothekarzinsen sparen könnte. Zudem würde die Rente das Einkommen erhöhen. Zurzeit leben die Heers von einer AHV-Rente von zusammen 3800 Franken pro Monat und ihren Ersparnissen, die etwa bei 200'000 Franken liegen.
Doch ist die lebenslange Rentenzahlung sicher? Was wäre, wenn der neue Hausbesitzer selbst in finanzielle Nöte geriete und die versprochene Rente nicht mehr zahlen würde?
Laut Ivest-Chef Hansjörg Haltiner sind solche Fälle höchst selten. Zudem würden die Rentenempfänger abgesichert: Man könne im Kaufvertrag vereinbaren, dass ein Pfandrecht im Grundbuch eingetragen wird, das der Rentensumme entspricht. Das garantiere dem Verkäufer, dass er bei Nichtzahlung der Rente wieder Eigentümer werde. Haltiner verweist darauf, dass Ivest mit dem Branchenführer, der Genfer Firma Savinter SA, zusammenarbeite. Savinter biete in der Romandie seit 20 Jahren Immobilienrenten an.
Umkehrhypothek hat mehr Vorteile als Immorente
Die Ivest AG wurde erst im Januar dieses Jahres gegründet. Neben ihr gibt es in der Deutschschweiz nur noch einen weiteren Anbieter von Immorenten: die Wohnrente AG. Sie existiert seit 2016 und kauft Immobilien in der Regel selbst. Nur in Ausnahmefällen vermittelt sie Immobilien an andere Eigentümer.
Adrian Wenger, Hypothekarexperte beim VZ Vermögenszentrum, ist skeptisch gegenüber dem Modell der Immobilienrente. Er findet: Wenn Rente und Ersparnisse kaum zum Leben reichten, sei eine sogenannte Umkehrhypothek die bessere Lösung.
Dabei stockt die Bank den bestehenden Kredit auf und bezahlt daraus die Hypozinsen («K-Geld» 1/2022). Den restlichen Kredit zahlt die Bank dem Eigentümer aus – entweder als Gesamtbetrag oder als regelmässige Rente. So können Rentner von ihrer Liegenschaft leben, ohne sie zu verkaufen. Anbieter solcher Umkehrhypotheken sind etwa die Basellandschaftliche Kantonalbank, die Thurgauer Kantonalbank und das VZ Vermögenszentrum.