Rentables Geschäft: Alte Pillen in neuen Schachteln
Von der Lutschtablette bis zur Antibabypille: Die gleichen Medikamente werden unter verschiedenen Namen verkauft - zu sehr unterschiedlichen Preisen.
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saldo 5/2007
21.03.2007
Franco Tonozzi
Neu Hextrimint - Lassen Sie sich jetzt in Ihrer Apotheke über Halsschmerzen und Hextrimint zur Desinfektion und Schmerzlinderung beraten!» So hat die Apothekenvereinigung Toppharm scheinbar neue Halsweh-Lutschtabletten angepriesen, die der Pharmagigant Pfizer 2003 auf den Markt brachte.
Was niemand weiss: Neu an Hextrimint ist nur die Schachtel. Das Medikament selbst ist stolze 38 Jahre alt und heisst eigentlich Angina MCC. Produziert wird es seit 1969 von der Schweizer Pharmafi...
Neu Hextrimint - Lassen Sie sich jetzt in Ihrer Apotheke über Halsschmerzen und Hextrimint zur Desinfektion und Schmerzlinderung beraten!» So hat die Apothekenvereinigung Toppharm scheinbar neue Halsweh-Lutschtabletten angepriesen, die der Pharmagigant Pfizer 2003 auf den Markt brachte.
Was niemand weiss: Neu an Hextrimint ist nur die Schachtel. Das Medikament selbst ist stolze 38 Jahre alt und heisst eigentlich Angina MCC. Produziert wird es seit 1969 von der Schweizer Pharmafirma Streuli in Uznach SG. Deren Marketingleiterin Natalia Schulz bestätigt: «Hextrimint und Angina MCC sind zwei Namen für das identische Produkt.» Pfizer lässt die Tabletten von Streuli herstellen.
Wer seine Halsschmerzen mit Streulis Angina MCC kuriert, kommt mit gut 3 Franken davon. Der US-Multi verlangt den vierfachen Preis - nämlich fast 12 Franken. Pfizer verweigert zum Preisunterschied jede Erklärung: «Dazu können wir keine Stellung nehmen», sagt Mediensprecher Jouni Epper. Die Apothekenvereinigung Toppharm räumt ein, der Etikettenschwindel sei ihr bei der Produktlancierung bekannt gewesen. Pfizer habe für die Werbeaktion bezahlt. Und: «Auf die Preispolitik von Pfizer haben wir keinen Einfluss», betont Toppharm-Einkaufsleiterin Tanja Dirschnabel. Wahr ist aber auch: Am teuren Hextrimint verdienen Apotheken 5 Franken, am günstigen Streuli-Produkt nur Fr. 1.35.
Rund 500 Doppelgänger-Medikamente in den Regalen
Ende Dezember hat Johnson & Johnson die Hextrimint-Lutschtabletten sowie die gesamte Sparte rezeptfreier Medikamente von Pfizer übernommen. Die fragwürdige Preisgestaltung bei der Lutschtablette ist auch dem neuen Besitzer aufgefallen, wie auf Anfrage von saldo zugegeben wird: «Das Produkt verschwindet noch dieses Jahr vom Markt», sagt Pascal Smolny von Johnson & Johnson. Bis es so weit ist, dürften die hinters Licht geführten Halswehpatienten gegen 400 000 Franken für die überteuerte Variante einer Uralt-Lutschtablette bezahlt haben.
Alte Pillen in neuen Schachteln - dieses Täuschungsmanöver nennt die Branche Co-Marketing. Es ist nicht selten: Etwa 500 Doppelgänger-Medikamente stehen in den Regalen der Apotheken und Drogerien. Wohlverstanden: Es handelt sich nicht um Nachahmungen, sogenannte Generika, sondern um getarnte Originale. Eigentlich sollte ein Co-Marketing-Artikel günstiger sein als das Basispräparat. Schliesslich haben die Mit-Verkäufer keinerlei Forschungsaufwand. Sie übernehmen vom Hersteller ein von der Kontrollbehörde Swissmedic geprüftes und zugelassenes Medikament und verpacken es neu. Trotzdem lassen sie ihren Preisfantasien freien Lauf. Mit dem Segen der Behörden: Solange die Arzneimittel nicht von den Krankenkassen bezahlt werden müssen, lässt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Pharmaindustrie freie Hand, ahnungslosen Patienten möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen.
Preisunterschiede: Pharmafirmen ohne Argumente
Wie zum Beispiel beim Medikament Trawell, einem Mittel gegen Reisekrankheit der Meda Pharma in Wangen ZH. Verkauft wird es im Co-Marketing für knapp 10 Franken. Keine 4 Franken kostet dieselbe Pille, wenn auf der Schachtel die Insignien des Herstellers stehen: Antemin von Streuli. Zur gewaltigen Preisdifferenz fällt Meda-Chef Dan Furrer nichts ein: «Dazu kann ich keinen Kommentar abgeben.»
Das Pharmaunternehmen Streuli produziert unter dem Namen Acidum folicum Streuli auch günstige Folsäure. Ersetzt man das letzte Wort im Namen durch Hänseler, kostet das Präparat plötzlich über einen Drittel mehr. Hänseler-Verkaufsleiter Ruedi Kuster kann zwar nicht begründen, warum seine Folsäure teurer ist als das Basispräparat. Die Enttarnung nimmt er aber sportlich hin: «Wenn jemand das identische, aber billigere Produkt kaufen möchte, sind wir ihm nicht böse.»
Hepa Gel von der Solothurner Spirig Pharma verschafft Linderung bei Venenleiden. Demovarin forte hilft gleich gut. Kunststück, es ist das Gleiche - kostet aber einen Fünftel mehr, wenn es von Vifor kommt, einer Tochter der Medikamentenhändlerin Galenica. Mediensprecherin Christina Hertig rechtfertigt den Preisaufschlag so: «Hepa Gel ist kassenzulässig. Der Preis wurde vom BAG festgelegt. Unser Demovarin hingegen nicht.» Im Klartext: Galenica langt etwas kräftiger zu, weil die Behörden den Preis nicht kontrollieren und die Kranken die Arznei aus dem eigenen Sack bezahlen müssen.
Patienten wissen oft nichts von der billigeren Alternative
Listig führt auch der Antibabypillen-Hersteller Schering seine Kundinnen an der Nase herum. Das Präparat Diane-35 gibt es seit 1988. Hingegen erst seit 2004 ist die Verhütungspille Minerva auf dem Markt. Vertrieben wird dieses «neue» Präparat aber nicht von Schering, sondern von einer gewissen Berlis AG in Baar ZG - einer Tochtergesellschaft von Schering Schweiz. Ein Blick auf die Beipackzettel von Diane-35 und Minerva macht stutzig: Beide Arzneimittel enthalten die gleichen Stoffe in identischer Menge.
Handelt es sich hier um Co-Marketing aus dem gleichen Haus? Schering gibt sich zugeknöpft: Es sei ein «Original-Generikum», erklärt Mediensprecherin Karin Müller. Deutlich sagt es Swissmedic-Chefjurist Andreas Balsiger: «Die beiden Produkte sind exakt gleich.»
Gut zu wissen. Denn das günstige Minerva kostet rund 15 Franken, während Frauen für dieselbe Pille unter dem Namen Diane-35 fast 22 Franken hinblättern müssen. saldo stellt die Gretchenfrage: Weshalb sollen Frauen für Diane-35 mehr zahlen als für Minerva? Firmensprecherin Müller: «Es gibt Frauen, die ihrer Marke treu bleiben wollen.» Tatsächlich haben Frauen im letzten Jahr 1,5 Millionen Franken für das teure Diane ausgegeben. Aber wohl kaum, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, den Namen Diane auf der Schachtel zu lesen, sondern weil sie von der günstigen Alternative nichts wissen.
Manche Präparate werden dank Konkurrenz günstiger
Co-Marketing kann den Patienten aber auch Vorteile bringen. Dies ist dann der Fall, wenn das eine Produkt erheblich billiger ist und dadurch eine Preiskonkurrenz entsteht. Beispiel Deroxat: Das Antidepressivum vom Hersteller Glaxo-Smith-Kline kostet gut 43 Franken. Das Co-Marketing-Produkt Parexat der Vertreiberin Spirig ist mit knapp 30 Franken deutlich günstiger. Jetzt handelt der Hersteller: «Wir senken den Preis für Deroxat ab dem 1. April um etwa einen Drittel», sagt Eric Bandle, Mediensprecher von Glaxo-Smith-Kline. Spirig-Geschäftsleiter Christian Pflugshaupt zieht mit: «Auch wir senken den Preis. Parexat wird 10 bis 15 Prozent billiger bleiben als das Basispräparat.»
Doppelgängerarzneien findet man auch beim Grossverteiler: Wer gerne die Heiltees der Firma Morga in Ebnat-Kappel SG trinkt, muss sie nicht teuer in Apotheken und Drogerien kaufen. Bei Coop gibt es fast alle Sorten als Eigenmarke für Fr. 2.40 statt Fr. 4.50.
Billigere Originale finden
Die Zahl der Co-Marketing-Arzneimittel wächst jedes Jahr. Nur wer Bescheid weiss, kann das billigere Original wählen und Geld sparen. Ein Blick in die Produkteliste der Kontrollbehörde lohnt sich: www.swissmedic.ch (im Suchfeld «co-marketing» eingeben). Die Preise muss man sich leider andernorts zusammensuchen: www.generika.cc und www.oddb.org.