Reiseführer in die Vergangenheit
«Die Geschichte der Welt» ist ein Atlas mit über 500 wunderschön gestalteten Karten. Das Werk überrascht mit eigenen Sichtweisen auf das Weltgeschehen.
Inhalt
saldo 20/2022
06.12.2022
Remo Leupin
Atlanten sind Einladungen zu Kopfreisen in ferne Länder. Bei historischen Atlanten kommt noch eine Dimension dazu: Sie sind Reiseführer an Orte in der Vergangenheit. Der französische Geograf Christian Grataloup ist ein Meister dieses Fachs. «Geschichte der Welt» ist sein bislang ambitioniertestes kartografisches Werk. Es enthält 515 prächtig gestaltete Karten, jeweils begleitet von kurzen Texten.
Anders als andere Kartografen ...
Atlanten sind Einladungen zu Kopfreisen in ferne Länder. Bei historischen Atlanten kommt noch eine Dimension dazu: Sie sind Reiseführer an Orte in der Vergangenheit. Der französische Geograf Christian Grataloup ist ein Meister dieses Fachs. «Geschichte der Welt» ist sein bislang ambitioniertestes kartografisches Werk. Es enthält 515 prächtig gestaltete Karten, jeweils begleitet von kurzen Texten.
Anders als andere Kartografen gibt Grataloup nichtwestlichen Kulturkreisen in seinem Buch viel Raum: So zeigt er zum Beispiel auf, wie der Handel in den Reichen rund um den Indischen Ozean die Ausbreitung des Islams seit dem 8. Jahrhundert beförderte. Eine andere Karte zeigt, wie die pazifischen Seefahrer seit dem 4. Jahrtausend vor Christus die austronesische Sprache auf den Philippinen, dem Malaiischen Archipel sowie in Mikronesien, Mela- und Polynesien verbreiteten.
Daneben bearbeitet Grataloup auch Themen, die bislang in keinem Atlas dargestellt wurden – vom Völkermord an den Armeniern über den Arabischen Frühling bis zum Klimawandel und dem Schutz der Weltmeere.
Dem Aufstieg Chinas widmet er mehrere Kapitel. Aufschlussreich ist die Karte der «neuen» Seidenstrasse, mit der China seinen geopolitischen Einfluss ausbauen will: Ihre Handelskorridore zu Lande sind fast identisch mit jenen der «alten» Seidenstrasse zur Zeit Marco Polos im 13. und 14. Jahrhundert.
Das Buch birgt auch Überraschungen. Zum Beispiel eine Karte zum Reich des Stamms der Komantschen im Süden der heutigen USA, das sich im 18. Jahrhundert rasch ausbreitete und erst in den 1870er-Jahren durch die weissen Siedler zerschlagen wurde. Möglich wurde der Vormarsch der Komantschen erst durch die Mustang-Pferde, welche die spanischen Konquistadoren 200 Jahre zuvor ins Land gebracht hatten.
Christian Grataloup, «Die Geschichte der Welt», C. H. Beck, München 2022, 640 Seiten, ca. 50 Franken