Jürg Steiner hat gerade Pause. Er sitzt in seinem Zimmer und sagt: «Die Therapien und der Service hier sind top. Auch das Essen ist gut und reichhaltig.» Dazu kommen noch die Trainingsmöglichkeiten im Fitnessraum. Der 66-jährige Patient aus Liestal BL macht seit fünf Wochen eine Rehabilitation in der Markgräflerland-Klinik in Bad Bellingen (D). Er hat sich gut an das neue Hüftgelenk gewöhnt. Für Steiner ist klar: «Falls nötig, komme ich wieder hierher.»
Die Behandlung des Baselbieters zahlt seine Krankenkasse Concordia. Die Kasse beteiligt sich an einem Pilotprojekt zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung: 1848 Patienten aus den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft absolvierten seit 2007 einen Spitalaufenthalt gleich hinter der Grenze im deutschen Landkreis Lörrach. Fast alle Basler Patienten waren in Reha-Kliniken.
Auch im Kanton St. Gallen läuft ein Pilotprojekt. Seit 2009 liessen sich dort 471 Patienten im Liechtensteiner Landesspital Vaduz auf Kosten ihrer Krankenkassen stationär behandeln.
Allgemeinversicherte erhalten Reha-Aufenthalte im Ausland normalerweise nicht erstattet. Die Kassen dürfen in der Grundversicherung nur Leistungen übernehmen, die im Inland anfallen. Immerhin entschied der Bundesrat, die Projekte in Basel und St. Gallen weiterlaufen zu lassen.
Spitalaufenthalte im Ausland haben für die Patienten Vorteile: Für viele Basler ist eine Herzklinik in Südbaden näher als die Spezialklinik in der Westschweiz. Allgemeinversicherte wohnen in südbadischen Reha-Kliniken in Einzelzimmern. Zudem können sie den Partner mitbringen. Die Markgräflerland-Klinik in Bad Bellingen verlangt dafür knapp 60 Franken pro Tag. In Schweizer Reha-Kliniken ist das viel teurer oder unmöglich.
In Deutschland 163 Franken, in der Schweiz 525 Franken pro Tag
Auch die Kassen profitieren: Ein Tag in südbadischen Reha-Kliniken kostet laut dem Basler Pilotprojekt im Durchschnitt 163 Franken. Zum Vergleich: Schweizer Reha-Kliniken verlangen laut Krankenkassenverband Santésuisse für eine orthopädische oder onkologische Reha 525 bis 600 Franken pro Tag. Bei Herzpatienten sind es bis zu 730 Franken am Tag. Das ist das Drei- bis Viereinhalbfache.
Der Verband Reha-Swiss rechtfertigt die hohen Tarife mit der angeblich besseren Qualität. Sprecherin Viviane Stehrenberger sagt, die 30 Mitgliedskliniken konzentrierten sich auf medizinisch ausgerichtete «Anschlussheilbehandlungen». Viele deutsche Reha-Kliniken böten indes Rehabilitationen an, die «in der Schweiz unter dem Begriff Kuren, Heilbäder, Massagen» laufen. Mit anderen Worten: Schweizer Kliniken konzentrierten sich eher auf medizinische Angebote.
Remigius Dürrenberger vom Gesundheitsdepartment Basel-Stadt widerspricht: In Deutschland bekämen Patienten zwar leichter eine Reha, deutsche Reha-Kliniken hätten aber «vergleichbare medizinische und pflegerische Qualitätsstandards wie Kliniken in der Schweiz». Für Dürrenberger ist die Behandlung in Südbaden «eine grenznahe Ergänzung zum inländischen Standardangebot».
Versicherte sollen sich frei entscheiden können
Laut Christophe Kaempf von Santésuisse gibt es keine Qualitätsmessungen, «die einen Vergleich zwischen deutschen und schweizerischen Kliniken ermöglicht». Santésuisse fordert, dass die Krankenversicherer die Reha-Aufenthalte im Ausland künftig übernehmen dürfen. Bedingung sei, dass Patienten frei entscheiden können, wohin sie gehen: «Die Versicherten haben so mehr Wahlfreiheit.»
Der Verband Reha-Swiss lehnt das ab. Schweizer Reha-Kliniken seien bereits in vielen Bereichen «intensivem Wettbewerbsdruck» ausgesetzt.
Eine Studie der Uni Basel von 2012 zeigt aber: Bei vielen Schweizer Reha-Kliniken hapert es bei der Effizienz. Denn sie seien keiner so «hohen Wettbewerbsintensität» wie deutsche Kliniken ausgesetzt. Die Anzahl an Vollzeitstellen pro Pflegetag sei bei ihnen im Durchschnitt 2,2 Mal höher als in deutschen Häusern. Knapp 40 Prozent der Differenz beruhe darauf, dass die Schweizer Rehas mehr Verwaltungspersonal beschäftigten. Bei der Therapieintensität und -dauer fanden die Forscher keine Unterschiede.
Solange der Bundesrat den Schweizer Reha-Markt abschottet, müssen Allgemeinversicherte eine Behandlung in Deutschland aus dem eigenen Sack zahlen, sofern sie nicht an einem Pilotprojekt teilnehmen können. Die Schwarzwaldklinik Bad Krozingen zählte letztes Jahr 15 Selbstzahler aus der Schweiz. Jürg Steiner hat den Aufenthalt in Bad Bellingen auf eigene Kosten um drei Wochen verlängert: «Das ist mir meine Gesundheit wert.»