An vielen Stellen in der Schweiz dringt das radioaktive Edelgas Radon aus dem Boden in Gebäude ein. Radon ist nach dem Rauchen die häufigste Ursache für Lungenkrebs. Laut dem Bundesamt für Gesundheit verursacht das Gas etwa 300 Tote pro Jahr. Kinder und Jugendliche reagieren besonders sensibel. Die saldo-Recherche zeigt: Oft sind sie in Schule oder Kindergarten zu viel Radon ausgesetzt.
saldo verlangte vom Bundesamt für Gesundheit Einsicht in die Daten der amtlichen Radonmessungen und wertete 8000 dieser Messungen aus. Sie fanden zwischen Januar 2018 und Januar 2021 an rund 2000 öffentlichen Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten in 20 Kantonen statt.
Sechs Kantone besonders stark betroffen
Ergebnis: In 135 Schulen, 32 Kindergärten und einer Kindertagesstätte waren Kinder und Jugendliche unzulässig hohen Dosen von Radon ausgesetzt. Und das in Räumen, in welchen sie regelmässig Zeit verbringen. Die Radonkonzentration überstieg dort im Durchschnitt 300 Becquerel pro Kubikmeter Luft. Ab diesem gesetzlichen Richtwert müssen Innenräume saniert werden, wenn sich Menschen mehr als 15 Stunden pro Woche darin aufhalten. Bei mehr als 20 Kindergärten und Schulen wurden über 1000 Becquerel gemessen, an einigen Schulen gar 2000 Becquerel (siehe Tabelle im PDF). Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Sanierungspflicht ab 100 Becquerel.
60 der stark radonbelasteten Schulen befinden sich im Kanton Zürich, vor allem in den Bezirken Winterthur, Uster und Pfäffikon. Die übrigen 108 Schulen und Kindergärten mit zu hohen Radonwerten liegen vor allem in den Kantonen Graubünden, Tessin, St. Gallen, Aargau und Schwyz.
Je jünger ein Kind, desto grösser die Gefahr
Oft reicht es, wenn man Kellerböden und undichte Stellen, etwa bei Abwasserrohren, abdichtet oder eine mechanische Lüftung einbaut.
Doch der Kanton Zürich scheint sich nicht besonders mit Radonrisiken beschäftigt zu haben, bevor der Bundesrat ab 2018 Messungen an Schulen und Kindergärten zur Pflicht machte: Zu den meisten Zürcher Schulen und Kindergärten liegen noch keine Messungen vor. Auch in anderen Kantonen stehen Messungen aus. saldo fragte bei der kantonalen Baudirektion nach, was zum Schutz der Zürcher Schüler und Kindergärtler unternommen wurde. Erstaunliche Antwort von Sprecher Wolfgang Bollack: «Dies entzieht sich im Detail unserer Kenntnis.» Die Fristen für die Sanierungen seien noch nicht abgelaufen.
Die Behörden lassen sich an vielen Orten 30 Jahre Zeit für die Sanierung. Das Bundesamt für Gesundheit bestätigt, dass diese Frist zulässig sei – aber nur, wenn die Radonkonzentration unter 600 Becquerel pro Kubikmeter liege und sich niemand länger als 30 Stunden pro Woche in diesem Raum aufhalte. Unter diesen Voraussetzungen bestehe kein relevantes Lungenkrebsrisiko. Trotz der largen Vorgaben hält das Bundesamt aber fest: «Die Kinder sollten möglichst schnell geschützt werden.»
Sanierungsfristen von 30 Jahren seien «extrem lang», kommentiert Martin Röösli, Professor für Umweltepidemiologie am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. «Gerade bei Kindern wäre es wichtig, dass man sie sehr gut schützt. Je jünger ein Kind ist, desto strahlensensibler ist es.»
Erst drei Jahre alt sind die Kinder in der Kindertagesstätte Chinderhuis in Sarnen OW. Dort haben Behörden 2018 im Spielraum eine Radonkonzentration von 310 Becquerel gemessen, in einem Bastelraum gar 630 Becquerel. Der Kanton handelte: Die Kinder dürfen den Bastelraum nicht mehr benutzen. Bis Ende 2021 werden alle Räume saniert.
Tipp: Eltern können die Verwaltung von Schulen oder Kindergärten mit hoher Radonkonzentration auffordern, ein Lüftungskonzept auszuarbeiten. Das ersetzt zwar keine Sanierung, eignet sich aber als Sofortmassnahme. Unter www.simaria.ch findet man eine Anleitung für ein Belüftungskonzept.
Zugang zu den Messdaten
Die Resultate aller von saldo ausgewerteten Radonmessungen finden Sie im Internet unter www.saldo.ch/radondaten. Aufgelistet sind Messwerte aus den Kantonen Aargau, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Glarus, Graubünden, Jura, Luzern, Neuenburg, Nidwalden, Obwalden, St. Gallen, Schwyz, Solothurn, Tessin, Uri, Wallis und Zürich. saldo berücksichtigte keine Messungen vor 2018. Damals gab es keine einheitlichen Messprotokolle. Zu einigen Gebäuden gibt es aktuellere Messungen, die dem Bundesamt für Gesundheit bei der Übermittlung der Daten an saldo noch nicht bekannt waren. Erkundigen Sie sich bei der Schul- oder Kindergartenverwaltung nach dem neusten Stand.