Kommt er? Oder doch nicht? Das Ehepaar Anfang 60 wartet mit seinem Anwalt vor dem Verhandlungssaal des Regionalgerichts Bern-Mittelland. Der 33-jährige Mieter habe aus Deutschland mitteilen lassen, er werde zum Gerichtstermin anreisen, erzählen sie. Doch dann wechselte er nochmals die Adresse. Seither kommen Briefe mit dem Vermerk «Empfänger unbekannt» zurück.
Nach zehn Minuten Wartezeit bittet die Einzelrichterin das Ehepaar samt Anwalt in den Saal. Sie stellt fest, dass weder der Beklagte noch sein Anwalt anwesend sind. Das Gericht werde deshalb das Urteil aufgrund der Akten und der Darstellung der Kläger treffen, erläutert sie.
Der Anwalt der Vermieter fordert 6115 Franken. Zur Hauptsache geht es um sechs offene Monatsmieten von zusammen 4950 Franken. Das Mietverhältnis dauerte fast fünf Jahre. Monatlich 825 Franken kostete die kleine 2,5-Zimmerwohnung in einem Vorort von Bern, Nebenkosten und Parkplatz inbegriffen. Im alten Bernerhaus vermietet das Ehepaar, das einen Handwerksbetrieb führt, mehrere Wohnungen. Der deutsche Mieter war schon zwei Monatsmieten im Rückstand, als er Anfang Oktober die Kündigung überbrachte und danach flugs auszog. Am 7. November kam er nochmals vorbei, um die Wohnung abzugeben. Doch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist liefen drei weitere Monatsmieten auf.
Die Vermieter wollen dem Deutschen eine Lektion erteilen
Die Richterin wundert sich, dass schriftliche Mahnungen für die offenen Mieten fehlen. «Wir wollten nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schiessen und mahnten nur mündlich», führt der Handwerker an. Das habe sich bei einem Zahlungsrückstand im Vorjahr bewährt. Diesmal aber sei es bei Ausflüchten geblieben.
Die Bank habe einen Fehler gemacht, habe der 33-Jährige behauptet. Die ausstehenden Mieten würden gleich überwiesen – doch es geschah nichts. Auf das Geld seien sie angewiesen, das Haus sei sozusagen die «Pensionskasse» für ihn und seine Frau, erläutert der Handwerker. Zudem wollte man dem jungen Mann ein solches Verhalten nicht durchgehen lassen: «Sonst macht er das immer wieder.»
Aus Sicht des Mieters liegt der Fall anders. Von den sechs Monatsmieten anerkennt er bloss zwei. Erstens sei er gleich nach der Kündigung ausgezogen und der Vermieter habe über die Wohnung schon während der Kündigungsfrist voll verfügen können. Zweitens habe er im November noch eine Miete bar bezahlt. Das schrieb sein Anwalt, bevor der 33-Jährige verschwand. «Dieser Einwand bleibt unberücksichtigt, da der Beklagte heute zum Prozess nicht erschienen ist», verfügt die Richterin.
Fast 10 000 Franken vom Mieter zugut, der unauffindbar bleibt
Dennoch geht sie die etwas handgestrickte Aufstellung der Mietzinseingänge minutiös durch. Nicht immer ist klar, wann die Miete für welchen Monat bezahlt wurde. Zur Wohnungsübergabe ergeben sich auch Fragen. Laut Abnahmeprotokoll ist unklar, wo genau nochmals geputzt werden musste. «Es steht doch im Protokoll, die Wohnung sei nur besenrein gewesen», entgegnet der Vermieter. Statt zu putzen, habe der Deutsche losfahren wollen, weil er sonst in Karlsruhe in den Stau komme. Er habe bloss gesagt: «Kein Problem, schicken Sie mir die Rechnung.»
Nach zwei Stunden verkündet die Richterin das Urteil. Sie spricht den Vermietern 4965 Franken zu. Das entspricht fünf Monatsmieten. Bei der sechsten sei der Beweis nicht erbracht, dass sie unbezahlt geblieben sei. Für die Reinigung kommen 600 Franken hinzu. Das entspricht dem Betrag laut Abnahmeprotokoll, selbst wenn die spätere Rechnung höher war. Und für das vergebliche Inkasso in Deutschland seien die Kosten von 240 Franken gerechtfertigt.
Für die Vermieter ist das Verfahren trotz Sieg unerfreulich. Sie müssen laut Prozessrecht die Gerichtskosten von 900 Franken bezahlen und 350 Franken für die Publikation des Urteils im Amtsblatt. Dazu kommt das Honorar für ihren Anwalt von 3300 Franken. Diese Kosten können sie beim Ex-Mieter einfordern.
Das heisst, sie haben gemäss Urteil 4965 Franken vom Mieter zugut, zahlen aus der eigenen Tasche aber erst mal 4550 Franken für das Gericht und ihren Anwalt. Auch wenn sie die knapp 10 000 Franken vom Ex-Mieter verlangen können: Solange er nicht mehr auffindbar ist, bleibt das Unterfangen aussichtslos.
Kostenrisiko für siegreiche Kläger
Der Kläger zahlt, auch wenn er siegt. Das gilt seit 2011 neu in der ganzen Schweiz. Die bürgerliche Mehrheit im Parlament setzte diese Regelung in der schweizerischen Zivilprozessordnung durch. Vorsicht deshalb bei Prozessen, wenn von Anfang an unklar ist, ob die Kosten von der Gegenpartei eingetrieben werden können.
In der Praxis läuft das so: Ist die Klage eingereicht, setzt das Gericht dem Kläger eine kurze Frist zur Zahlung der Gerichtskosten. Kommt kein Geld, tritt das Gericht auf die Klage gar nicht ein. Gewinnt der Kläger den Prozess, wird der Unterlegene zwar verpflichtet, die Gerichtskosten zu zahlen. Der Kläger muss das Geld aber selber eintreiben.