Der Krebsbefund war ein Schock für Emil Manser aus Appenzell AI. Er war erst 50, als sein Urologe ihm riet: «Lassen Sie die Prostata entfernen, dann haben sie Ruhe.» Der Gastwirt fürchtete, dass er danach unter Erektionsstörungen leiden würde. Er ignorierte den Rat.
Heute ist der 62-Jährige geheilt: «Auch im Bett funktioniert alles.» Zu verdanken hat er das der sogenannten Brachytherapie. Ein Arzt schoss ihm im Jahr 2010 im Kantonsspital St. Gallen spezielle Nadeln mit leicht radioaktiven Partikeln in die Prostata, um lokale Krebszellen dauerhaft zu bestrahlen. Das wirkte.
Auch der 73-jährige Peter Tuchan aus Marbach SG liess seine Prostata vor 15 Jahren mit der Nadeltechnik behandeln. «Das Ergebnis war sensationell», sagt er. Dieter Benoit (81) aus Schaffhausen setzte vor sieben Jahren ebenfalls auf die minimalinvasive Methode. Auch er ist heute krebs- und beschwerdefrei.
Weniger Probleme beim Sex und beim Urinieren nach dem Eingriff
Inzwischen liegen auch Erkenntnisse aus der Forschung vor. Die Brachytherapie hilft demnach genauso gut gegen den Prostatakrebs wie die Prostataentfernung oder die externe Bestrahlung. Die Behandelten haben später aber weniger Probleme beim Urinieren und beim Sex als die anderen Patienten. Das ergab schon eine Untersuchung im Jahr 2020, welche die Daten von 1291 Schweizer Brachytherapie-Patienten auswertete.
Erstaunlicherweise kommt die Methode trotz der belegten Wirksamkeit nur selten zum Einsatz. Rund 3500 Männer lassen sich pro Jahr wegen Prostatakrebs in der Schweiz stationär behandeln. 3130 von ihnen wird im Durchschnitt die Prostata komplett entfernt, rund 300 bekommen eine Bestrahlung, aber nur etwa 90 eine Brachytherapie. Das zeigen Zahlen des Bundesamtes für Statistik für die Jahre 2017 bis 2020. Für ambulante Behandlungen fehlen die Daten.
Die Eidgenössische Finanzkontrolle kritisierte im vergangenen Jahr, dass in der Schweiz mehr Prostataentfernungen durchgeführt würden als in jedem anderen Land. Die Ärzte liessen Alternativen ausser Acht.
Derselben Meinung ist Hans-Peter Schmid, Chefarzt für Urologie am Kantonsspital St. Gallen. Ihm zufolge «eignet sich jeder zweite Prostata-Operierte für die Brachytherapie». Denn ihr Tumor sei lokal begrenzt und mässig gefährlich. Auch der Zürcher Urologe Ladislav Prikler vom Urologie-Netzwerk Uroviva sagt: «Die Therapie wird zu selten eingesetzt, obwohl sie wirkt und kaum Nebenwirkungen hat.»
Fast halb so teuer wie eine Prostataentfernung
Mehr Brachytherapien würden auch die Prämienzahler entlasten. Jede Prostataentfernung kostete laut der Krankenkasse Helsana im vergangenen Jahr durchschnittlich 10 524 Franken, eine Brachytherapie oder eine externe Bestrahlung schlugen nur mit 6500 Franken zu Buche. Würde die Hälfte der Prostataentfernungen durch Brachytherapien ersetzt, liessen sich pro Jahr 6,3 Millionen Franken sparen.
Warum aber will kaum jemand diese Therapie? Für Ärzte ist sie laut Schmid aufwendiger als andere Methoden. So müssen Urologen mit Radiologen und Medizinphysikern kooperieren. Viele Patienten und Ärzte wollen den Tumor entfernt haben – anstatt ihn zu behandeln.
Keine medizinischen Vorteile bei Operation mit Roboter
Auch Technikgläubigkeit spielt eine Rolle. Laut der Finanzkontrolle kommen bei zwei Dritteln der Prostataentfernungen sogenannte Da-Vinci-Roboter zum Einsatz. Alle Studien zeigen jedoch: Der Eingriff mit Roboter bringt Patienten keine medizinischen Vorteile gegenüber der Operation von Hand. Auch für das Spital lohnen sich Roboter nicht. Es bekommt für jede Da-Vinci-unterstützte Prostataentfernung die gleich hohe Fallpauschale wie für die Operation von Hand, hat aber wegen des Roboters viel höhere Kosten.
Emil Manser ist heute sehr zufrieden, dass er sich vor zwölf Jahren gegen die Prostataentfernung entschied: «Ich denke normalerweise nicht mehr daran, dass ich Prostatakrebs hatte.»