Die grösste Schweizer Lebensversicherung, Swiss Life, behauptet seit Weihnachten in aufwendig gemachten TV-Spots: «Jedes zweite Neugeborene wird 100 Jahre alt.» Und die UBS hat ein teures Gutachten über die Zukunft der Sozialwerke in Auftrag gegeben. Ergebnis: Die Bevölkerung werde immer älter. Deshalb klaffe bei der AHV eine Finanzierungslücke «sowohl für die heute lebenden als auch die zukünftigen Generationen» von nicht weniger als gut 1000 Milliarden Franken.
Wer das liest, soll wohl erschrecken. Doch aufgepasst: Die Bank stützt sich für ihr Horrorszenario auf Prognosen. Ihnen liegen Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung, zur Einwanderung, zum Einkommen, zur Lebenserwartung usw. zugrunde – und zwar bis ins Jahr 2060.
Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass die UBS-Annahmen weit hergeholt sind. Die AHV wird im Umlageverfahren finanziert. Das heisst: Die Menschen von 18 bis 65 zahlen ein, das eingenommene Geld wird für die Renten der Pensionierten verwendet. Das bedeutet: Die künftigen Renten werden aus den künftigen Einnahmen der AHV bezahlt – nicht aus Ersparnissen der Versicherten wie bei den Pensionskassen.
Bis jetzt waren die Einnahmen der AHV stets höher als die Ausgaben. Deshalb stieg die Reserve der AHV von Jahr zu Jahr – und tuts noch immer: Ende 2014 betrug sie rund 45 Milliarden Franken. Kommt hinzu: 2011 musste die reiche AHV der armen IV gemäss Parlamentsbeschluss 5 Milliarden Franken überweisen. Diese Summe müsste korrekterweise zum Vermögen der AHV addiert werden.
Lebenserwartung sinkt und neuer Babyboom
Die UBS-Studie geht davon aus, dass diese Reserve bald einem Defizit weicht. Grund: Die Lebenserwartung der Rentner steige. Anders die Fakten: Gemäss offiziellen Zahlen des Bundesamts für Statistik hatte eine Frau, die 2010 das Alter von 65 Jahren erreichte, eine Lebenserwartung von 22,2 Jahren. 2011 ebenfalls. 2012 und 2013 sank die Rest-Lebensdauer auf 22,1 Jahre. Und bei den Männern ab 65 stagniert sie seit 2012 bei 19,1 Jahren. Von einer Erhöhung der Lebens- erwartung also keine Spur mehr.
Weiter führen laut UBS-Studie der Babyboom von 1940–1960 und der Einbruch der Geburtenrate zu Beginn der 70er-Jahre zum Anstieg des Durchschnittsalters. Auch diese Behauptungen halten einer Überprüfung nicht stand. Zwar sank die Geburtenrate nach 1970 – inzwischen hat sich der Trend jedoch gewendet: «Babyboom: Drei Kinder statt eins», titelte etwa der «Tages-Anzeiger» am 8. Januar. Das Zürcher Uni-Spital, das Kantonsspital Winterthur und die Klinik Hirslanden hatten einen Geburtenrekord gemeldet.
Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass diese Entwicklung für die ganze Schweiz gilt: Die Zahl der Geburten liegt praktisch wieder auf dem Stand von 1990. Damals kamen 83 939 Kinder auf die Welt. Zehn Jahre später sank diese Zahl auf 78 458. Seither nimmt sie laufend zu: 2010 waren es 80 290, 2013 genau 82 731 Neugeborene.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die 2005 eingeführte Mutterschaftsversicherung. Die Mutter erhält als Taggeld 80 Prozent des zuvor erzielten durchschnittlichen Erwerbseinkommens, maximal 196 Franken pro Tag.
Mitentscheidend für die Liquidität der AHV ist die Zahl der Erwerbstätigen. Denn je mehr Leute arbeiten und je mehr sie verdienen, desto mehr Geld spült das in die Kassen der AHV.
Auch hier gibts keinen Anlass zu Befürchtungen: Immer mehr Frauen arbeiten. Zudem: 2014 hatte die Schweiz 87 106 mehr Zu- als Auswanderer. Vor vier Jahren lag der Überschuss erst bei 64 939.