Die Bundesrichter wählten letzten April klare Worte: Das Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) habe seine Aufgabe als Atomaufsichtsbehörde «ungenügend wahrgenommen», heisst es im Urteil zu einer Beschwerde von Anwohnern des AKW Beznau. Die Richter bemängelten, das Inspektorat habe von der AKW-Betreiberin Axpo den Nachweis für die Erdbebensicherheit nicht umfassend genug eingefordert.
Greenpeace und die Schweizerische Energie-Stiftung sprechen von einer «Fehlleistung» des Inspektorats. Das passe ins Bild vom Ensi als einer mit der Atomindustrie eng verbandelten Behörde. Im selben Ruf steht der vom Bundesrat gewählte Ensi-Rat, der das Inspektorat überwachen soll. Vor Jahresfrist trat Ratspräsident Martin Zimmermann zurück: Das Internetportal Infosperber.ch hatte aufgedeckt, dass Zimmermann bei seiner Wahl in den Ensi-Rat 2017 Mitglied des Nuklearforums war und das bis Anfang 2020 blieb. Das Nuklearforum gilt als Sprachrohr der Atomlobby.
Doch noch immer sind im Ensi und im Ensi-Rat Leute zu finden, die eine Vergangenheit in der Nuklearbranche haben. So war die Vizepräsidentin des Ensi-Rats, Cornelia Spitzer, früher bei der Internationalen Atomenergie-Organisation tätig. Mitglied Catherine Pralong Fauchère machte beim Nuklearforum mit. Amtskollege Rafael Macián-Juan leitet seit 2007 den Lehrstuhl für Nukleartechnik an der Technischen Uni München, dessen Aufbau der Energiekonzern E.ON mit 2,5 Millionen Euro mitfinanzierte. Macián-Juan arbeitete vorher am Paul Scherrer Institut in Villigen AG. Am gleichen Institut, dessen Kernanlagen das Ensi beaufsichtigt, forschte auch Ensi-Geschäftsleitungsmitglied Felix Altorfer.
Verbandelungen in vielen Aufsichtsbehörden
Auch andere Aufsichtsbehörden beschäftigen Personal mit beruflicher Vorgeschichte in der beaufsichtigten Branche. Einige Beispiele:
Eidgenössische Postkommission (Postcom): Vizepräsident Georges Champoud arbeitete über 30 Jahre bei der Post, zuletzt als Stabschef der Konzernleitung. Später war er Geschäftsführer der DPD (Schweiz) AG. Kommissionsmitglied Patrick Salamin sass mehrere Jahre in der Post-Konzernleitung und leitete von 2007 bis 2013 die Division Poststellen und Verkauf. In dieser Zeit sank die Zahl der Postfilialen von 2500 auf 1660.
Bis Ende 2020 behandelte die Postcom 125 Eingaben von Gemeinden, die sich gegen die Aufhebung ihrer Poststellen wehrten. In nur neun Fällen forderte die Aufsichtsbehörde die Post dazu auf, von der Schliessung zumindest vorläufig abzusehen.
Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom): Ihr Präsident, der Berner Alt-Ständerat Werner Luginbühl, war jahrelang Verwaltungsratspräsident der Kraftwerke Oberhasli. Elcom-Mitglied Felix Vontobel wirkte gegen 20 Jahre als stellvertretender Geschäftsführer des Energiekonzerns Repower. Cornelia Kawann und Michael Bhend, Sektionsleitende im Elcom-Fachsekretariat, arbeiteten einst bei den Stromriesen Alpiq und BKW. Von der BKW kommt auch Urs Meister, ab November Geschäftsführer des Elcom-Fachsekretariats. Meister war lange Vorstandsmitglied des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen.
Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma): Sie überwacht Banken und Versicherungen und soll sich für den Schutz der Anleger und Versicherten einsetzen. Verwaltungsratspräsidentin ist Marlene Amstad, ehemals stellvertretende Direktorin der Nationalbank und Mitarbeiterin der Credit Suisse. Vizepräsident ist Martin Suter, der früher bei Credit Suisse, UBS und Swiss Life tätig war.
Ex-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer spricht bilanzierend von einer «problematischen Verwurstung von Interessen». Anders sehen das die Kritisierten. «Der Bundesrat prüft die Unabhängigkeit der Mitglieder vor der Wahl und hat sie bei allen als gegeben erachtet», schreibt die Elcom. Und wie sie halten Ensi, Ensi-Rat, Postcom und Finma fest, ihre Mitglieder dürften in der beaufsichtigten Branche keinerlei Funktionen mehr innehaben. Im übrigen sei es wichtig, dass man über Leute mit Fach- und Branchenkenntnissen verfüge. «Die angesprochenen Mitglieder der Geschäftsleitung haben in ihrer Vergangenheit wertvolle Kenntnisse in ausländischen Projekten oder auch in der Grundlagenforschung erlangt», sagt Etwa Ensi-Sprecher Christoph Trösch.
Rechtsprofessorin Monika Roth relativiert: Fachwissen sei wichtig. Doch in den Aufsichtsbehörden müsse es «genügend unabhängige Personen haben, die sich auch durchsetzen können und wollen», sagt die Expertin für Wirtschaftsrecht. Das sieht Leutenegger Oberholzer ebenso. Der Bundesrat müsse darum bei der Wahl neuer Mitglieder sehr genau hinschauen, fordert sie: «Besteht auch nur ein Anschein von Befangenheit, ist das eine denkbar schlechte Voraussetzung für die Tätigkeit in einer Aufsichtsbehörde.»