Das Geschäft der Päcklipost boomt. Zum fünften Mal hintereinander verzeichnete die Paketsparte der Schweizerischen Post letztes Jahr einen Rekord. 138 Millionen Pakete hat sie zugestellt. Um diese Mengen zu verarbeiten, setzte die Post auch Temporärmitarbeiter wie Simon Kupfer (Name geändert) aus dem Kanton Bern ein.
Der 24-Jährige war letztes Jahr von einem Stellenvermittlungsbüro angestellt worden und lieferte nach einer Schnellbleicheausbildung Pakete aus. Er sagt: «Die Paketflut hat zu einem Personalnotstand geführt.» Kupfer erhielt pro Stunde 25 Franken netto, inklusive Ferienentschädigung. Er arbeitete vor allem am Abend und am Samstag. Einsatzort war die Stadt Bern. Der Vertrag war auf ein Jahr befristet. «Zuerst musste ich unterschreiben, dass ich mich ans Postgeheimnis halte.» Dann sollte er einen Strafregisterauszug nachliefern.
Zahl der temporär Angestellten stark gestiegen
Die ersten zwei Wochen begleitete Kupfer einen Kurden auf seiner Zustellungstour: «Er hörte die ganze Zeit Musik aus Anatolien, sang dazu und kurvte fast immer sehr schnell durch die Quartiere.» Kupfer: «Wir mussten fahren wie die Räuber, weil wir sonst unsere Zustellzeiten nicht hätten einhalten können.»
Gut 19 000 Leute waren Ende 2018 bei Post Logistics und Post Mail beschäftigt. Sie nehmen die Post entgegen, sortieren sie und stellen sie den Kunden zu. Gegen 1000 von ihnen sind wie Kupfer nur temporär angestellt. Vor zwei Jahren waren es erst gut 700. Laut Post-Sprecherin Jacqueline Bühlmann werden temporär Beschäftigte hauptsächlich eingesetzt, um die Spitzen zu brechen, beispielsweise in der Weihnachtszeit.
Richtig los gehts für Simon Kupfer nach drei Wochen Einführung. Ab jetzt ist er allein unterwegs. Den Strafregisterauszug hat er noch nicht eingeschickt. Kein Problem. Er holt trotzdem bei der Bundesanwaltschaft, beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und beim Obergericht regelmässig Briefe ab. Einzig die Diplomatenpost wird in einem plombierten Säcklein transportiert.
Kupfer schwärmt, wie er bei der Arbeit unterschiedliche Kulturen kennenlernt. Unter den Fahrern habe es neben Kurden auch Syrer, Tamilen, Usbeken. «Wir halfen einander und informierten uns gegenseitig sofort über mobile Radarfallen.»
Mitarbeiter zahlen Bussen aus dem eigenen Sack
Der Teamchef der Post verlange immer mehr Tempo – doch Geschwindigkeitsbussen müssten sie aus dem eigenen Sack zahlen. «Die Vorgaben sind unmenschlich und praktisch nicht zu erfüllen», sagt Kupfer. Hinzu komme die totale Überwachung: «Mein Vorgesetzter weiss über das Bordsystem, wie lange ich für die Route benötigte, wie viel Benzin ich dafür verbrauchte und wie viele Pakete ich auslieferte.» Unerbittlich rüge er, wenn für eine Tour zu viel Zeit draufgegangen sei. Auch der Teamleiter stehe unter Druck: «Ist sein Team zu wenig schnell, hat das Auswirkungen auf seine Qualifikationen und seinen Lohn.» Standardmässig lasse er den Satz fallen: «Schneller Leute, schneller, die von DPD und Fedex sind schneller.» Das hat Folgen: «Meine ausländischen Kollegen stempeln für Pausen aus, arbeiten aber weiter, weil sie ihre Pakete im vorgegebenen Zeitfenster abliefern wollen.»
Sprecherin Bühlmann sagt, die Post lege Wert darauf, dass Angestellte die Verkehrsregeln konsequent einhielten. Fahrzeugdaten würden nicht zur Überwachung der Boten, sondern zum ökonomischen und ökologischen Fahrzeugeinsatz genutzt: «Die Zustelltouren werden unter anderem anhand von Distanzen, Paketmenge, Kundenadressen und Abholstationen festgelegt, was zu einer optimalen Tourenplanung führt.»
Nach einem halben Jahr genug von der Hetzerei
Optimal? Kupfer ärgert sich über unnötige Fahrten: «Der Kunde kann dirigieren, in welchem Zeitfenster er eine Paketlieferung gern hätte.» Deshalb komme es vor, dass an der gleichen Strasse an zwei Adressen zu unterschiedlichen Zeiten Pakete ausgeliefert werden müssen. «Wir kurven unnötig herum und kommen eine gute Stunde später an die gleiche Strasse, um das zweite Paket zeitgerecht abzuliefern.»
Nach sechs Monaten hat Kupfer genug von der Hetzerei. Er kündigt. Sein tamilischer Kollege wäre gern geblieben. Doch genau nach einem Jahr erhielt er die Kündigung. So lange darf die Post laut Gesamtarbeitsvertrag Temporäre beschäftigen, dann muss sie ihnen eine Festanstellung anbieten – oder kündigen. Das macht die Post bei jedem Fünften, sagt die Gewerkschaft Syndicom.