Unbequem, unpräzis, unsicher: So stellt eine aktuelle Werbekampagne das Zahlen mit Bargeld dar. Auf einem der Plakate bringt die Werbefigur Tony Card die Geldscheine umständlich im Tresor in den Laden. «Sicher zahlen geht anders», behauptet das Plakat. Es folgt der knappe Appell: «Karte statt Cash.» Teil der aktuell laufenden Kampagne ist auch die Website cashless.ch. Dort propagieren kurze Webvideos das bargeldlose Bezahlen.
Die Kampagne stammt von der Interessengemeinschaft Schweizer Kartenanbieter. Dazu gehören Kreditkartenherausgeber wie die Viseca Card Services SA oder American Express, aber auch die UBS und Postfinance sowie die Zahlungsabwickler Aduno SA und SIX Payment Services.
Plakate, Webauftritt mit Blog und Werbemassnahmen an den Verkaufsstellen – wie viel das alles kostet, will der Mediensprecher der Interessengemeinschaft nicht sagen. Nur so viel: «einen sechsstelligen Betrag».
Das Ziel der Kampagne: Die Schweizer sollen mehr per Karte zahlen. Laut der Nationalbank sind in der Schweiz zwar rund 16 Millionen Kredit- und Debitkarten im Einsatz. Trotzdem lassen die Schweizer das Plastikgeld aus Sicht der Branche noch zu oft im Portemonnaie. Laut einer Studie der Uni St. Gallen vom Dezember 2016 ist Bargeld «immer noch das wichtigste Zahlungsmittel».
Nicht immer tritt die Branche so offen auf wie in ihrer aktuellen Werbekampagne. Auch die Gratiszeitung «20 Minuten» machte kürzlich im Auftrag der Postfinance Werbung für das bargeldlose Zahlen – im redaktionellen Teil (saldo 18/2016).
Dass viel Werbegeld ausgegeben wird, um den bargeldlosen Zahlungsverkehr zu propagieren, wundert nicht: Denn die Finanzindustrie profitiert bei jedem Einsatz der Karten von Gebühren, die sie selbst festlegt. Bezahlen müssen Karteninhaber und Geschäfte. Zudem kommen Banken und Kartenherausgeber gratis zu einer Fülle von Kundendaten, die sie kommerziell verwerten können.
Vor allem Kleinunternehmer zahlen hohe Gebühren
Laut dem Preisüberwacher müssen kleine Betriebe beim Einsatz der Postcard den Kartenherausgebern für jede Transaktion 23 Rappen bezahlen. Bei den Gebühren für die Debitkarten Maestro und V-Pay hüllen sich die grossen Zahlungsabwickler Six Payment Services, Aduno und Concardis in Schweigen. «Wir veröffentlichen diese Transaktionskosten nicht», schreibt etwa Six Payment.
saldo fragte bei Kleinunternehmern nach. Resultat: Je nach Branche und Verhandlungsgeschick entrichten sie für Kundenzahlungen mit einer Debitkarte wie Maestro 18 bis 32 Rappen. Die neue Debitkarte V-Pay kommt die Geschäfte noch teurer: So muss etwa das Coiffeurgeschäft am Chileplatz in Winterthur Concardis pro Kundenzahlung 0,5 Prozent der Transaktionssumme plus fix 30 Rappen abliefern.
Deutlich mehr müssen Geschäftsinhaber zahlen, wenn Kunden die Rechnung mit den gängigen Kreditkarten Visa und Mastercard begleichen. Kleine Händler wie Bäckereien oder ein unabhängiges Lebensmittelgeschäft zahlen 2,2 bis 2,55 Prozent Transaktionsgebühr. Die von saldo angefragten Restaurants müssen den Kreditkartenherausgebern bis 2,4 Prozent der Konsumation abliefern.
Die Auslagen der Händler tragen letztlich die Kunden: Firmen schlagen ihre Kommissionen und Kosten für die Bargeldlos-Bezahlinfrastruktur zum Verkaufspreis ihrer Produkte hinzu. Oder sie reichen die Kosten fürs bargeldlose Zahlen direkt an die Kunden weiter, wie zum Beispiel diverse Airlines und Elektronikshops im Internet.
Hinzu kommen die Jahresgebühren für Debit- und Kreditkarten, die der Kunde ohnehin schon bezahlt. Selbst Inhaber angeblicher Gratis-Kreditkarten kommen nicht gratis weg: Die von Coop herausgegebene Supercard Plus kostet bei Auslandtransaktionen 1,5 Prozent Gebühr.
«Das führt zur Abschaffung der Privatsphäre»
Die Konsumenten bezahlen doppelt. Neben den Gebühren liefern sie der Finanzbranche auch wertvolle Daten. Denn alle an den elektronischen Zahlungen beteiligten Unternehmen sehen, wer wem wie viel bezahlt. Mit diesen Informationen lassen sich detaillierte Kundenprofile über Kaufkraft und Konsumvorlieben erstellen. Je lückenloser die Kunden elektronisch bezahlen, desto vollständiger werden die Datensammlungen.
Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger bestätigt: «Es besteht die Gefahr, dass das Konsumverhalten je länger je genauer analysiert und ausgewertet wird.» Dagegen könne man am Bancomaten quasi «Freiheit tanken». Bereits sein Vorgänger Hanspeter Thür warnte in der Juristenschrift «Plädoyer» vor den Bestrebungen zum völlig bargeldlosen Zahlungsverkehr: «Das wäre ausserordentlich gefährlich – das führt zur totalen Abschaffung der Privatsphäre.»
Auch Staaten wollen Bargeld abschaffen
Interesse an einem möglichst lückenlosen elektronischen Zahlungsverkehr haben auch die Staaten. So gibt es in mehreren Ländern Bestrebungen weg vom Bargeld:
In Indien schaffte die Regierung letzten November die zwei grössten Banknoten ab (500 und 1000 Rupien). Begründung: Man wolle die Schattenwirtschaft bekämpfen und Schwarzgeld aufspüren. Mit anderen Worten: mehr Steuern einnehmen.
Die Europäische Zentralbank schafft demnächst die 500- Euro-Note ab. Sie soll ab Ende 2018 nach und nach aus dem Verkehr gezogen werden.
Weit fortgeschritten ist die Abschaffung des Bargelds in Skandinavien: In Schweden und Dänemark gibt es zahlreiche Geschäfte, die kein Bargeld mehr annehmen. Die Banken reduzierten die Zahl von Bancomaten in den letzten zehn Jahren drastisch. In Dänemark hat laut der «Handelszeitung» mehr als die Hälfte der 5,6 Millionen Einwohner die Bezahl-App der Danske Bank auf dem Handy.
Die bargeldlose Gesellschaft wäre auch ein Mittel, mit dem die Banken Negativzinsen lückenlos durchsetzen könnten. Denn Vermögen liesse sich dann nur noch zu vorgegebenen Konditionen auf einem Konto lagern – nicht aber unter der Matratze oder im Tresor.