Das Entrecôte brutzelt in der Pfanne, doch wo landet die leere Plastikverpackung? Fast immer im Kehrichtsack. Über 500 Schweizer Gemeinden gehen andere Wege: Sie führten offizielle Kunststoffsammlungen ein. Zum Beispiel Biel: Die Stadt testet seit einem Jahr das Plastikrecycling. Die Haushalte können den Kunststoffmüll in einem separaten Sammelsack der Firma InnoRecycling entsorgen. Einmal im Monat holt die Kehrichtabfuhr die Säcke vor der Haustür ab.
Wird die Entrecôte-Verpackung wiederverwertet – oder wo landet sie am Schluss? saldo ging mit den Müllmännern auf Tour und begleitete die Bieler Plastiksammelsäcke auf ihrer Reise.
Gesammelte Plastikmenge nimmt in Biel schnell zu
Die Müllmänner müssen die Sammelsäcke auf ihrer Tour hinter Hecken und Mauern suchen. Lastwagenfahrer Patrick Bloebaum fährt immer wieder zurück, um einen übersehenen Sack zu holen. In Aussenquartieren mit Wohnblöcken hält er selten, in Quartieren mit Einfamilienhäusern häufig. Die gesammelte Menge stieg von 1,6 Tonnen im Juni 2021 auf 12 Tonnen im April 2022.
Die Plastiksammlung sind nicht gratis: In Biel kosten 10 Sammelsäcke 17 Franken – 6 Franken mehr als ein normale Kehrichtsäcke.
Auf der Tagestour mit saldo legte der Kehrichtwagen 100 Kilometer zurück. Dabei verbrauchte er rund 90 Liter Diesel. Die Stadt möchte zwar alle Diesellaster mit Elektrolastwagen ersetzen, doch damit gibts ein Problem: «Sie sind 20 Zentimeter breiter als die Diesellaster und damit zu gross für viele Quartierstrassen», sagt Fahrer Bloebaum. Am Ende der Tour fährt der Lastwagen zur Firma Sortec in Aarberg BE und kippt 1,8 Tonnen Plastikmüll auf den Boden einer Lagerhalle. Dort wird er zu 400 Kilo schweren Ballen gepresst.
Fast die Hälfte des Plastikabfalls wird nicht wiederverwertet
Zwei Wochen später transportiert ein anderer Lastwagen rund 12 Tonnen Plastikballen von Aarberg ins 243 Kilometer entfernte österreichische Lustenau zur Loacker Recycling GmbH. Dort türmt sich Plastikmüll aus Österreich, Deutschland und der Schweiz zu meterhohen, säuerlich riechenden Mauern. In einer Halle reisst ein Kran die gepressten Ballen auseinander und wirft den Plastik auf ein Förderband. In einer etwa zwei Meter hohen und vier Meter langen «Wäschetrommel» werden zuerst Kleinteile wie Flaschendeckel oder Cremedosen ausgesiebt. Sie enden als Brennstoff in einem Schweizer Zementwerk.
Der restliche Müll verschwindet danach in einem Labyrinth aus 163 Förderbändern in alle Himmelsrichtungen. Folien und Plastikbehälter werden mechanisch separiert. UV-Lichtsensoren und Druckluftdüsen trennen den Kunststoff nach Farben und Sorten.
Die Plastikverpackung, in der einst das Entrecôte steckte, landet in der Tonne «Mischplastik». Die Verpackung besteht aus einer Schale und einer Abdeckfolie aus unterschiedlichen Plastiksorten. Gemäss den Fabrikarbeitern wird dieser Plastik verbrannt. Rund 40 bis 50 Prozent des gesammelten Kunststoffmülls kann nicht wiederverwertet werden: Er endet als Brennstoff im Ofen eines Zementwerks.
Der wiederverwertbare Plastikmüll wird erneut zu Ballen gepresst und mit dem Sattelschlepper von Vorarlberg ins 67 Kilometer entfernte Eschlikon TG auf das Areal der InnoRecycling und der InnoPlastics transportiert. Ein Gabelstapler fährt die Plastikballen in die dunkle, dröhnende und feuchtstickige Fabrik, in welcher das Material geschreddert, gewaschen, separiert, geschmolzen und schliesslich zu Granulat verarbeitet wird. Daraus entstehen keine Lebensmittelverpackungen mehr, sondern Produkte wie Blumentöpfe oder Gebührensäcke, die später ebenfalls in der Kehrichtverbrennung landen werden.
«Plastikrecycling hat einen geringen Umweltnutzen»
Die Kosten der Thurgauer Firma für Sammlung, Transport und Sortierung liegen bei 700 bis 1000 Franken pro Tonne. Das Recyclinggranulat hat gemäss InnoRecycling-Geschäftsführer Markus Tonner einen Marktwert von 900 Franken pro Tonne. Finanziell betrachtet ist das Plastikrecycling also ein Nullsummenspiel. Eine weitere Einnahmequelle des Thurgauer Unternehmens ist der Verkauf der Sammelsäcke: Eine Rolle mit zehn 35-Liter-Säcken kostet rund 29 Franken – mehr als die meisten Gebührensäcke in der Schweiz.
In ökologischer Hinsicht ist der Nutzen des Recyclings eher gering. Ob mehr oder weniger Plastik in der Kehrichtverbrennung landet, hat gemäss Andreas Schluep von der Kehrichtverbrennung Müve in Biel kaum Einfluss auf den CO2-Ausstoss. Seine Aussage wird von einer Studie gestützt, welche die Umweltberatungsfirma Carbotech im Auftrag des Bundes, der Kantone und der Recyclingindustrie durchführte. Fazit der Studie: «Kunststoffrecycling hat einen geringen Umweltnutzen.»
InnoRecycling dagegen erklärt, dass es für das Klima besser sei, wenn zum Beispiel Zementwerke Plastikmüll statt Öl verbrennen. Nur: Die Abgase aus den Schweizer Zementwerken sind problematischer als jene aus Kehrichtverbrennungsanlagen. Die Zementwerke überschritten in den vergangenen Jahren die Schadstoffgrenzwerte immer wieder (siehe Kasten). Kehrichtverbrennungsanlagen dagegen stossen weniger Schadstoffe aus. Das heisst: Die Entrecôte-Verpackung hätte unter dem Strich der Umwelt weniger geschadet, wenn sie im normalen Kehrichtsack gesammelt und in der Müllverbrennung der Stadt Biel entsorgt worden wäre.
Kehrichtverbrennungen: Grenzwerte eingehalten
Die 30 Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen verbrennen pro Jahr über 4 Millionen Tonnen Kehricht und stossen dabei 2,1 Millionen Tonnen CO2 aus. Punkto mögliche CO2-Einsparungen durch Plastikrecycling gehen die Studienergebnisse auseinander. Würden alle Haushalte der Schweiz konsequent Plastik separat sammeln, betrüge die CO2-Ersparnis gemäss Schätzungen grosszügig berechnet rund 200 000 Tonnen.
Bei der Verbrennung entstehen neben CO2 weitere Emissionen wie Staub oder Stickoxide, für die im Gegensatz zum CO2-Ausstoss Grenzwerte gelten. Die Kantone müssen sie kontrollieren. Gemessen werden sie von den Anlagebetreibern.
saldo liegen Messwerte von Verbrennungsanlagen aus den Kantonen Basel, Bern, Solothurn und Zürich vor. Überall wurden die Grenzwerte eingehalten – im Unterschied zu Zementwerken (saldo 20/2021).