Pharmabranche jammert trotz Milliardengewinn
Die Schweizer zahlen auch in Zukunft zu viel für die Medikamente. Der Grund: Der Bund kommt der Pharmabranche bei den Wechselkursen stark entgegen.
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saldo 09/2012
09.05.2012
Thomas Müller
Das Bundesamt für Gesundheit erfragt bei den Pharmafirmen zurzeit die Preise, die sie in sechs Vergleichsländern für dieselben Mittel verlangen. Betroffen sind erst einmal 800 von über 2500 kassenpflichtigen Medikamenten. Daraus errechnet sich der neue Preis, den die Pharmafirmen ab 1. November in der Schweiz verlangen dürfen.
Bundesrat macht viele Zugeständnisse an die Pharmafirmen
Das gleiche Prozedere wiederholt si...
Das Bundesamt für Gesundheit erfragt bei den Pharmafirmen zurzeit die Preise, die sie in sechs Vergleichsländern für dieselben Mittel verlangen. Betroffen sind erst einmal 800 von über 2500 kassenpflichtigen Medikamenten. Daraus errechnet sich der neue Preis, den die Pharmafirmen ab 1. November in der Schweiz verlangen dürfen.
Bundesrat macht viele Zugeständnisse an die Pharmafirmen
Das gleiche Prozedere wiederholt sich 2013 und 2014 für die restlichen Medikamente. Daran, dass die Preise in der Schweiz höher bleiben als im Ausland, wird sich aber wenig ändern. Patienten und Prämienzahlern entgehen beachtliche Einsparungen, weil der Bundesrat den Pharmafirmen die Preissenkung mit etlichen Zugeständnissen versüsst:
- Wechselkurs: Die bisherigen Medikamentenpreise beruhen auf einem Euro-kurs von Fr. 1.58. Der vom Bundesamt für die Preisvergleiche verwendete 12-Monats-Durchschnittswechselkurs liegt bei 1.23. Daraus ergäbe sich laut Preisüberwacher eine Preisreduktion von etwa 1,7 Milliarden Franken, zusammengerechnet über die nächsten drei Jahre. Gesundheitsminister Alain Berset nimmt aber einen fiktiven Wechselkurs von 1.29. Er gewährt den Pharmakonzernen eine «Toleranzmarge» von 5 Prozent, um «den Währungszerfall in den Referenzländern abzufedern».
So schrumpft die Preisreduktion auf etwa 1,4 Milliarden Franken. Effekt: ungefähr 300 Millionen Franken zugunsten der Pharmaindustrie in den nächsten drei Jahren, statt dass die Prämienzahler davon profitieren.
- Zeitpunkt: Mehr als zwei Drittel aller in der Schweiz verkauften Medikamente sind ausländischer Herkunft. Weil der Bund die Medikamentenpreise mit fast dreijähriger Verzögerung senkt, können ausländische Pharmaunternehmen seit 2010 satte Währungsgewinne einfahren.
Der Ökonom und Medikamentenpreisexperte Josef Hunkeler, einst beim Preisüberwacher für Arzneimittelfragen zuständig, schätzt die Währungsgewinne der Importeure in den knapp drei Jahren bis zur Preissenkung auf über 500 Millionen.
- Referenzländer: Verglichen wird mit den hochpreisigen Ländern Deutschland, Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Grossbritannien. Länder mit tiefen Medikamentenpreisen wie Italien oder Spanien fehlen hingegen. «Für die Schweiz gehören aber Spanien und Italien zu den wichtigsten Importländern von Arzneimitteln», hält Hunkeler fest.
Pharmabranche will höheren Wechselkurs durchsetzen
Trotz aller Zugeständnisse von SP-Bundesrat Berset ist die Pharmaindustrie nicht zufrieden. Roland Schlumpf von Interpharma möchte als Berechnungsgrundlage einen Wechselkurs von «Fr. 1.35 bis Fr. 1.38 pro Euro». Warum? Die Exporte der Pharmaindustrie machten ein knappes Drittel aller Ausfuhren aus der Schweiz aus, erklärt er, «als Exporteur leidet die Pharmaindustrie viel mehr als jede andere Branche».
Ein Blick in die Jahresrechnungen der Unternehmen relativiert diese Aussage. Die beiden Basler Branchenriesen arbeiten hoch profitabel: 2011 wies Roche 9,5 Milliarden Franken Gewinn aus, Novartis 9,2 Milliarden Dollar. Dennoch hat sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats mit 13 gegen 7 Stimmen auf die Seite der Branche gestellt. Sie möchte Gesundheitsminister Berset zurückpfeifen und mit einer Motion beauftragen, «eine einvernehmliche Lösung zu finden», die auch der Pharmaindustrie zusagt. Der Vorstoss geht nun ans Plenum des Nationalrats und an den Ständerat.
Der inländische Markt selbst ist mit einem Anteil von etwa 1,5 Prozent am Absatz der Schweizer Pharmakonzerne zwar unbedeutend. Doch die Schweizer Preise hätten einen Hebeleffekt, weil sie in anderen Ländern als Referenz herangezogen würden. Senke man also die Schweizer Preise, so schwäche man den Pharmastandort Schweiz, so die Argumentation der Pharmaindustrie.
«Keine Argumente, sondern bloss eine Nebelpetarde»
Jacqueline Fehr, Zürcher SP-Nationalrätin und Kommissionsmitglied, bleibt skeptisch: «Bis jetzt konnte mir niemand erklären, um welche Länder und welche Summen es tatsächlich geht. Wären die Effekte tatsächlich relevant, hätte die Pharmaindustrie die Fakten und Zahlen schon längst auf den Tisch gelegt.» Solange sie das nicht tue, sei das für sie «kein Argument, sondern eine Nebelpetarde».