Viele Betagte brauchen im Pflegeheim ihr ganzes Erspartes auf. Horrende Heimkosten belasten auch Gemeinden, Kantone und Krankenkassen. Ein Nutzniesser ist der französische Pflegekonzern Orpea. Er betreibt in der Schweiz 32 Senevita-Pflegeheime mit rund 3000 Betten sowie den Spitexdienst «Stadt und Land». Orpea ist damit Marktleader.
Gleich dahinter kommt die Zürcher Tertianum-Gruppe. Sie betreibt 73 Senioreneinrichtungen mit rund 2700 Pflegebetten. Tertianum gehört Swiss Prime Site, dem grössten an der Börse kotierten Immobilienkonzern der Schweiz. Die Gruppe erzielte letztes Jahr bei 406 Millionen Umsatz einen Bruttogewinn von 15 Millionen.
Orpea ist in neun weiteren europäischen Ländern und in China tätig. Doch so viel Rendite wie in der Schweiz macht der Konzern nirgends: Im letzten Jahr erzielte er laut Geschäftsbereich einen Gewinn von 58 Millionen Franken vor Steuern und Mieten. Die Rendite betrug 36 Prozent – in Deutschland waren es 27 Prozent und in Österreich 20 Prozent.
«Nach der Übernahme wird bei Personalkosten gespart»
Laut Udo Michel von der Gewerkschaft Unia investiert Senevita vor allem in schöne Gebäude und ins Marketing: «Zielgruppe sind zahlungskräftige und ältere Bewohner, die das Heim nicht mehr wechseln.» Die Klagen von Mitarbeitern über die Arbeitsbedingungen würden zunehmen. Das erstaunt Elvira Wiegers vom Verband des Personals öffentlicher Dienste nicht. Sie macht die Erfahrung, dass «privatisierte Pflegeheime nach der Übernahme durch ein Grossunternehmen sofort bei den Personalkosten sparen». Die Löhne machen rund 80 Prozent der Kosten eines Heimes aus.
Zahlen des Bundesamts für Gesundheit zeigen: 8 von 13 Senevita- Heimen reduzierten 2015 im Vergleich zum Vorjahr das Pflegefachpersonal, ohne dass die «Pflegeintensität» der Bewohner gleich stark abnahm. In drei weiteren Heimen musste dieselbe Zahl von Pflegefachkräften mehr Pflegebedürftige versorgen.
Auch das Pflegepersonal kritisiert gegenüber saldo die Arbeitsbedingungen in Senevita-Heimen:
Laut einer erfahrenen Pflegerin hat sich der Druck in ihrem Heim im Mittelland massiv verstärkt. Zusammen mit zwei Lehrlingen, zwei Praktikantinnen und einer Pflegehelferin betreue sie über 20 Bewohner. Die Zeit reiche nur, die Betagten «warm, satt und sauber zu halten – eine Schmalspurpflege».
Eine andere Pflegerin, die bis Ende 2016 im Heim Lindenbaum in Spreitenbach AG arbeitete, sagt: «Jeden Morgen traf man Bewohner, die in Exkrementen lagen oder von Kopf bis Fuss verschmiert waren.» Frühstück habe es für manche erst um 11 Uhr gegeben. Die Heimleiterin habe im Herbst 2016 wegen zu geringer Auslastung zahlreichen Mitarbeitern gekündigt. Als wieder mehr Bewohner eintraten, sei das Personal nicht aufgestockt worden.
Eine Pflegerin im Heim Sonnenpark in Pratteln BL kritisiert: «In der offenen Pflegeabteilung sind wir sehr knapp an Personal.» Häufige Kündigungen und schlechtes Management würden die Zustände verschärfen. «Eine individuelle Pflege ist hier nicht mehr möglich.» Ihr Standardsatz laute: «Sie müssen Geduld haben.»
Senevita-Sprecherin Daniela Flückiger räumt ein, dass die Personalfluktuation in neuen Heimen wie in Pratteln oder Spreitenbach in der Aufbauphase «zu hoch» war. Nun kehre Stabilität ein. Senevita halte sich stets an die kantonalen Personalvorgaben. In Spreitenbach lägen die Stellenprozente über dem Soll. Flückiger bestreitet Pflegemängel: Alle Bewohner könnten wählen, wann sie aufstehen, duschen und frühstücken. Keiner müsse bis 11 Uhr warten. In Spreitenbach habe man keine entsprechenden Reklamationen erhalten. «Die Nachtwache macht drei- bis viermal eine Runde pro Nacht bei allen Bewohnern. Sie kontrolliert und wechselt die Einlagen.»
Viele Kantone machen keine unangemeldeten Kontrollen
Die Behörden kontrollieren meist nur die schriftlichen Angaben der Heime – und dies nur einmal pro Jahr. Die Kantone Aargau und Basel teilen auf Anfrage mit: Sie hätten in den letzten Jahren kein Senevita-Heim wegen zu wenig Personal beanstandet. Solothurn machte keine Angaben. Das Gesundheitsamt Baselland inspizierte jüngst zweimal das Senevita-Heim Sonnenpark in Pratteln. Die Kontrollergebnisse sind nicht öffentlich.
Die Kontrollbehörden in den Kantonen Aargau oder Sankt Gallen führen keine unangemeldeten Inspektionen durch, in Baselland, Basel und Bern nur selten. Anders der Kanton Waadt: Er führte sie 2008 ein – und erwischte gleich im ersten Jahr 24 Heime, die zu wenig Personal angestellt hatten.
Pflegeheimbewohner werden krank geschrieben
Je hilfsbedürftiger die Bewohner sind, desto mehr Geld erhalten Pflegeheime. Die Skala reicht von Stufe 1 bis 12. Die Krankenkasse Concordia überprüfte in den letzten fünf Jahren 1400 Pflegeeinstufungen von Versicherten. 41 Prozent waren zu hoch. Die KPT kontrollierte im gleichen Zeitraum 2500 Dossiers. Jede vierte Einstufung war zu hoch. Die Concordia fand bei Senevita-Heimen im Vergleich zu anderen «keine Auffälligkeiten».
Die KPT macht zu einzelnen Heimen keine Angaben.