Künftig sollen Bauern nur noch Geld vom Staat erhalten, wenn sie auf Pestizide verzichten. Das fordert die Trinkwasserinitiative. Noch weiter geht die Volksinitiative «Schweiz ohne synthetische Pestizide»: Sie will künstliche Pestizide per Gesetz verbieten. Grund: Viele dieser Stoffe schädigen Menschen, Tiere, Böden und Gewässer.
Die Initiativen kommen frühestens nächstes Jahr zur Abstimmung. Schon jetzt machen Bauernorganisationen grossflächig dagegen Stimmung und stellen den Bauern Infotafeln für ihre Felder zur Verfügung. Laut eigenen Angaben haben der Bauernverband und die «IG Bauern-Unternehmen» fast 5000 solcher Tafeln verteilt.
Die Informationen auf den Tafeln sollen den Konsumenten weismachen, dass Bauern nicht auf den Einsatz von Pestiziden verzichten können, dass diese massvoll eingesetzt würden und ungefährlich seien. «Unser Ziel ist ein doppeltes Nein», sagte Urs Schneider, stellvertretender Direktor des Schweizer Bauernverbands, im März 2019 an der Delegiertenversammlung des St. Galler Bauernverbands.
saldo hat die Aussagen häufig aufgestellter Tafeln unter die Lupe genommen. Fazit: Sie sind schönfärberisch, übertrieben oder schlicht falsch. Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, einer Vereinigung unabhängiger Agrarfachleute, spricht von «krassen Fehlinformationen». Einige Beispiele:
Behauptung:
«Alle Pflanzenschutzmittel brauchen eine offizielle Bewilligung. Das Zulassungs-verfahren ist in der Schweiz streng»
Fakt ist: Eine Studie der Revisionsfirma KPMG kritisierte im Jahr 2019 die Zulassungspraxis des Bundesamts für Landwirtschaft als mangelhaft und intransparent. Es erlaubte etwa in den letzten Jahren immer wieder die Anwendung von Pestiziden, die Bienen töten. Aktuell dürfen Bauern bis Ende Oktober sieben Mittel spritzen, die den für Bienen giftigen Wirkstoff Acetamiprid enthalten. Dabei gab das Bundesamt zu, dass die Wirksamkeit dieser Stoffe «nicht garantiert» sei. Sie seien nie unter hiesigen Bedingungen gegen Schädlinge getestet worden (saldo 10/2020).
In die Zulassung von Pestiziden involviert ist auch das Bundesamt für Umwelt. Es beurteilt die Umweltrisiken neuer Wirkstoffe. Eine Studie im Auftrag von Umweltschutzorganisationen kam 2016 zum Schluss, dass das Bundesamt im Vergleich zum Umweltbundesamt in Deutschland «bedeutend weniger Gewicht» hat. Dort könne ein Pestizid nur dann zugelassen werden, wenn das Amt sein Einverständnis gebe. In der Schweiz ist dies nicht der Fall.
Behauptung:
«Wir Schweizer Bauern brauchen weniger Pflanzenschutzmittel als unsere Kollegen im Ausland»
Fakt ist: Gemäss einem Faktenblatt des Bundesamts für Landwirtschaft von 2016 liegt die Schweiz beim Pestizideinsatz mit zwei Kilo pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche im europäischen Mittelfeld. Demnach werden in Italien mehr (5,6 kg), in Österreich (1,3 kg) und Deutschland (1,9 kg) weniger Pestizide verwendet. Dazu kommt: Die Menge ist nicht unbedingt entscheidend: «Es gibt extrem giftige Wirkstoffe wie etwa Pyrethroide. Diese sind in sehr kleinen Mengen sehr giftig für die Lebewesen in den Gewässern», sagt Eva Wyss vom WWF. Das bestätigt auch eine Studie des Wasserforschungsinstituts der ETH aus dem Jahr 2019. 2017 wurden rund 2000 Tonnen Pestizide verkauft, knapp 20 Tonnen waren Pyrethroide. Die ETH-Forscher fanden diese «sehr giftigen» Stoffe in allen sechs untersuchten Bächen.
Behauptung:
«Wir Bauern setzen auf den sorgfältigen, massvollen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln»
Fakt ist: Die Gewässer sind voll mit Pestiziden. Gemäss dem Wasserforschungsinstitut wurde in den letzten Jahren «eine Vielzahl von Pflanzenschutzmitteln in kleinen Fliessgewässern» festgestellt, «besonders in Gebieten mit vorwiegend landwirtschaftlicher Landnutzung». Diese gefährden Wasserlebewesen und landen im Trinkwasser («K-Tipp» 1/2020). Beispiel: Mitte August meldete der Kanton St. Gallen, dass in vier Bächen in der Region Gossau sowie in Widnau der Grenzwert von neun Pestiziden überschritten worden sei. Vera Leib vom St. Galler Amt für Wasser und Energie sagt: «Die Ergebnisse unserer Untersuchungen sind ernst und erfordern Massnahmen.»
Behauptung:
«Gesunde, regionale Lebensmittel»
Fakt ist: Regionale Lebensmittel, die konventionell angebaut wurden, sind nicht gesünder als ausländische. Denn Pestizide vergiften nicht nur Lebewesen und Wasser, sondern lagern sich auch in Nahrungsmitteln ab. Das zeigten mehrere saldo- Tests in den letzten Jahren. So fand das Labor in Schweizer Erdbeeren bis zu acht verschiedene Pestizide, in zwei Proben war die Belastung sehr hoch (saldo 12/2017). Auch in Schweizer Kartoffeln wies das Labor Pestizide nach. Unbelastet waren einzig die fünf untersuchten Bio-Kartoffelsorten (saldo 7/2019).
Behauptung:
«Wir verlieren im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent der Ernte, wenn wir ganz auf Pflanzenschutzmittel verzichten»
Fakt ist: Beide Initiativen fordern zwar den Verzicht auf chemische Pestizide, nicht aber auf natürliche Substanzen wie Steinmehl oder Nützlinge. Die Bio-Landwirtschaft setzt vor allem im Obstbau natürliche Substanzen ein. Der Verzicht auf Pestizide aus dem Labor dürfte gemäss Lucius Tamm, Direktionsmitglied des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in Frick AG, über alles gesehen eine rund 20 Prozent tiefere Ernte zur Folge haben – sofern diese Betriebe nach Bio-Richtlinien bewirtschaftet würden. Das zeigten diverse Vergleichsstudien.
Pestizide können zudem Ernteverluste verursachen. Wegen des Antipilzmittels «Moon Privilege» des deutschen Chemie-Multis Bayer verkümmerten 2015 viele Trauben.
Der Bauernverband bestreitet, dass sich die Tafeln gegen die beiden Initiativen richten: «Unsere Tafeln sind reine Informationstafeln», sagt Sprecherin Sandra Helfenstein. Sowohl Bauernverband als auch «IG Bauern-Unternehmen» halten an ihren Aussagen fest.