Auf einer grossen Informationstafel auf dem Zürcher Stadtberg steht: «Herzlich willkommen im Naturschutzgebiet Üetliberg-Albis». Hier, auf über 800 Metern Höhe über Meer, ist die Luft noch klar. Nichts deutet darauf hin, dass diese Landschaft von nationaler Bedeutung mit Pestiziden belastet sein könnte.
Der saldo-Test zeigt ein anderes Bild: In der Pflanzenprobe vom Üetliberg fanden die Fachleute des mit der Untersuchung beauftragten deutschen Labors den Unkrautvernichter Glyphosat und dessen Abbaustoff Ampa (siehe Box).
Glyphosat und Spuren davon in allen Proben aufgetaucht
Glyphosat ist sehr umstritten, seit die internationale Agentur für Krebsforschung 2015 das Pestizid aufgrund von Daten aus Tierversuchen als möglicherweise krebserregend klassifizierte. Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung stuft das Pestizid bei korrekter Anwendung als unproblematisch ein.
In den USA wurde der Hersteller von 125 000 gesundheitlich Geschädigten eingeklagt. Hersteller Bayer war zu einem Vergleich über 8 Milliarden Dollar bereit (saldo 13/2020). Unbestritten ist, dass Glyphosat und sein Abbauprodukt Ampa schädlich für Wasserorganismen sind.
Die zwei Stoffe fand das Labor in allen Pflanzen der saldo-Stichprobe. Neben dem Üetliberg wurden sie an neun weiteren Orten in der Deutsch- und Westschweiz gepflückt. Belastet waren zwei weitere Naturschutzgebiete, ein Naturwaldreservat, zwei Berggebiete, ein Wildpark und drei Stadtparks (siehe Tabelle im PDF). Alle diese Gebiete liegen nicht in unmittelbarer Nähe von landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen.
Analysiert wurden jeweils 100 Gramm Pflanzenmaterial. In der Probe aus dem Lausanner Parc de Sauvabelin fand das Labor nebst Glyphosat das seit mehreren Jahren nicht mehr zugelassene Insektizid Permethrin. Es ist schädlich für Wasserlebewesen und für Bienen. Die Probe aus dem Heididorf bei Maienfeld enthielt nebst Glyphosat das Anti-Pilz-Mittel Propamocarb. Es wird oft in Rebbergen eingesetzt.
Gespritzte Pestizide verdampfen und werden vom Wind verteilt
Wahrscheinlich wurden das Glyphosat und die anderen gefundenen Pestizide über die Luft verbreitet. Gemäss Untersuchungen von Greenpeace und dem Umweltinstitut München verdampfen gespritzte Pestizide oder sie haften an Staubpartikeln. Dann werden die Stoffe vom Wind kilometerweit getragen.
Der «Gesundheitstipp» liess vor einem Jahr Urinproben von 30 zufällig ausgewählten Personen in der Schweiz im Labor auf Pestizide untersuchen. 30 Prozent der Proben enthielten Glyphosat («Gesundheitstipp» 5/2020).
Die von saldo gefundenen Mengen liegen im Bereich von 2 bis 5 Mikrogramm und stellen für Menschen kein akutes Gesundheitsrisiko dar. Trotzdem sind die Funde besorgniserregend. Die Resultate der Stichprobe beweisen, dass Pestizide auch geschützte Naturlandschaften grossflächig verschmutzen. Die Ergebnisse decken sich mit einer aktuellen Stichprobe der Organisation Women Engage for a Common Future (WECF) in Deutschland: Dort wurden in
15 Naturschutzgebieten 94 Pestizide nachgewiesen.
Die schleichende Vergiftung hat Auswirkungen auf das Ökosystem und die Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit des österreichischen Ministeriums für Konsumentenschutz schreibt dazu: «Der intensive Einsatz hochwirksamer Breit-band-Herbizide wie Glyphosat führt zwangsläufig dazu, dass die Vielfalt der Pflanzenwelt verarmt und Tierarten verschwinden.»
Und das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag warnt seit Jahren vor den negativen Folgen in Bächen und Flüssen. Bei Messungen im Jahr 2017 stellten die Forscher in fünf kleineren Bächen zwischen 71 und 89 verschiedene Pestizide fest.
Verschwinden die Insekten, verschwinden die Vögel
Eine 2017 veröffentlichte Studie des deutschen entomologischen Vereins Krefeld und der holländischen Radboud-Universität Nijmengen zeigte, dass in den Jahren 1989 bis 2017 die Menge an Fluginsekten um 76 Prozent zurückging. Wenn Insekten verschwinden, verschwinden auch die Vögel.
Gemäss Zählungen des «Schweizer Brutvogelatlas» hat sich allein der Bestand des Braunkehlchens seit 2000 mehr als halbiert. Braunkehlchen sind typische Insektenfresser. Die Autoren des Untersuchungsberichts von 2018 schreiben in ihrer Publikation: «Die Verwendung von Pestiziden muss stark eingeschränkt werden.»
So wurde getestet
In den ersten zwei Mai-Wochen sammelte die saldo-Testredaktion zehn Proben aus Gräsern und Blättern an verschiedenen Standorten der Schweiz. Je 100 Gramm Pflanzenmaterial wurden gekühlt in ein spezialisiertes deutsches Labor geschickt. Die Experten untersuchten die Proben mit Gas- und Flüssigkeitschromatografie auf über 500 Einzelsubstanzen. Die gemessenen Mengen lagen in neun Proben im Bereich von 2 bis 5 Mikrogramm pro Kilo. In der Probe aus dem Naturschutzgebiet Weihermatte in Reiden LU fand das Labor das Biozid Icaridin in einer höheren Menge von 15 Mikrogramm.