Die Angestellten in der Schweiz können nicht wählen, ob sie fürs Alter sparen wollen. Denn sie werden gesetzlich dazu gezwungen. Monat für Monat wird ihnen für die Altersrente ein Teil des Lohns abgezogen.
Seit dem letzten Jahr wird dieses Alterssparen von der Nationalbank bestraft. Der Grund: Sie belastet Guthaben der Banken mit Negativzinsen von 0,75 Prozent. Die Banken geben diese Beträge an grosse und vermögende Kunden weiter, darunter die Pensionskassen. Denn sie müssen für die Auszahlung der laufenden Renten relativ hohe Beträge zur Verfügung halten.
400 Millionen Franken Kosten pro Jahr wegen Negativzinsen
Hat eine Pensionskasse zum Beispiel ein Guthaben von 100 Millionen Franken auf einem Konto, kostet sie der Negativzins von 0,75 Prozent 750 000 Franken.
Der Pensionskassenverband Asip schätzt, dass die Vorsorgestiftungen durch die von der Nationalbank verfügten Negativzinsen mit rund 400 Millionen Franken pro Jahr belastet werden. Dieses Geld geht den Versicherten und Rentnern ab. Verbandsdirektor Hanspeter Konrad bezeichnet es als «nicht nachvollziehbar», dass Pensionskassen Negativzinsen zahlen müssen, obwohl diese nur ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen. Die Pensionskassen müssten jährlich rund 20 bis 25 Milliarden Franken an Rentenleistungen auszahlen. «Dazu müssen sie einen Grundstock an Liquidität halten, für den sie nun noch zahlen müssen», sagt Konrad.
«Das tiefe Zinsniveau ist ganz generell belastend»
«Die Nationalbank hat eine Art Steuer eingeführt. Sparer und künftige Rentner bezahlen nun für diese Politik der Nationalbank», kritisiert auch Olaf Meyer, Präsident der Pensionskasse Profond. Die Negativzinsen kosteten bei Profond die Versicherten letztes Jahr 585 000 Franken. Wohlverstanden: Das ist jener Betrag, den Profond bei einem Zins von 0 Prozent statt einem von minus 0,75 Prozent in der Kasse gehabt hätte. «Belastend ist das tiefe Zinsniveau ganz generell. Hier handelt es sich um noch viel höhere Beträge», sagt Meyer.
Bei der Publica, der grössten schweizerischen Pensionskasse, schlugen die Negativzinsen mit rund 3 Millionen Franken zu Buche. Dies lässt sich aus Angaben von Anlagechef Stefan Beiner errechnen. Dieses Geld fehlt den 62 547 erwerbstätigen Publica-Versicherten.
Viele Pensionskassen äussern sich nicht zu den Negativzinsen
Andere grosse Pensionskassen wie die der Migros und der Zürcher Kantonsangestellten (BVK) wollen auf Anfrage von saldo nicht sagen, wie viel Negativzinsen sie bezahlen mussten. Diese Kosten seien aber klein. Auch die Unfallversicherung Suva ist von Negativzinsen betroffen. Auch sie will nicht sagen, wie hoch die Kosten waren.
Der AHV-Fonds ist von Negativzinsen ebenfalls betroffen
Auch die AHV verwaltet viel Geld – Ende 2015 waren es 46,4 Milliarden Franken. Der AHV-Fonds ist zwar von den Negativzinsen teilweise ausgenommen, trotzdem belasteten diese im letzten Jahr den Fonds mit 3 Millionen Franken. Denn ab einer Guthabengrenze von 1 Milliarde Franken muss der Fonds an die Nationalbank Negativzinsen zahlen, genauso auf Guthaben bei Geschäftsbanken. Zur Auszahlung der Renten braucht der Fonds 2 bis 3 Milliarden Franken Cash.
Jede Bank regelt selbst, ab welchem Guthaben Negativzinsen geschuldet sind. Die Pensionskassen splitten deshalb ihre Cash-Guthaben auf verschiedene Banken und wandeln Bargeldbestände in kurzfristige Festgelder um.
Die Pensionskassen versuchen, die Kosten durch Negativzinsen so tief wie möglich zu halten. Laut einem Bericht der SRF-Sendung «Rundschau» hortet eine Kasse gar Bargeld in Bankschliessfächern, um die Negativzinsen zu umgehen. Das koste trotz der Ausgaben für Lagerung, Transport und Versicherung weniger als der Negativzins auf dem Bargeld.
Gegenüber saldo bestätigen drei Kassenvertreter, dass sie eine Schliessfachlösung geprüft, aber vorerst verworfen haben. Probleme bereiten unter anderem die Kosten der Diebstahlversicherung.
Nationalbank schiebt die Verantwortung an die Geschäftsbanken
Doch warum bestraft die Schweizerische Nationalbank die künftigen Rentner? Ein Sprecher lässt ausrichten, die Pensionskassen könnten nicht von den Negativzinsen befreit werden, weil diese keine Konten bei der Nationalbank hätten. Ob und wie stark die Pensionskassen durch Negativzinsen belastet würden, entschieden alleine die Geschäftsbanken. Anders beim AHV-Fonds: Dieser hat bei der Nationalbank ein Konto, weil die Bank gemäss Gesetz für den Bund Bankdienstleistungen erbringen muss.
Bundesamt hat keinen Einfluss auf die Politik der Nationalbank
Das Bundesamt für Sozialversicherungen zeigt sich nicht erfreut über die Auswirkungen der Negativzinsen: «Die Situation bereitet uns Sorgen», sagt ein Sprecher. Die Kassen erzielten nun tiefere Erträge oder müssten höhere Risiken eingehen, um die gleichen Renditen zu erzielen wie vorher. Das Bundesamt könnte aber keinen Einfluss auf die Politik der Nationalbank nehmen.
SVP-Ständerat Alex Kuprecht verlangte letztes Jahr eine Befreiung der Pensionskassen und der Unfallversicherung von Negativzinsen. Der Bundesrat will nun einen Bericht über die Auswirkungen erstellen lassen. Daraufhin zog Kuprecht seinen Vorstoss zurück.
So oder so: Auf eine politische Lösung vertrauen die Pensionskassen nicht (siehe Kasten). Einzelne Stiftungen gehen rechtlich gegen die Banken vor, um Negativzinsen zu verhindern.
Pensionskassen prüfen Klage
Einzelne Pensionskassen drohten mit dem Gang vor den Richter, untersagten den Banken eine weitere Belastung durch Negativzinsen und meldeten Rückforderungsansprüche für bereits belastete Negativzinsen an.
Mehrere Pensionskassen schalteten Rechtsanwälte ein, um die Belastung durch Negativzinsen seitens der Geschäftsbanken zu stoppen. Laut NZZ bezweifeln verschiedene Juristen, dass Negativzinsen ohne einvernehmliche Vertragsänderung an die Kunden weitergegeben werden dürfen. Negativzinsen wurden bisher nicht vertraglich geregelt, deshalb brauche es neue Verträge, denen die Pensionskassen zustimmen müssten.