Seit 2014 veröffentlicht die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge des Bundes jedes Jahr beunruhigende Schätzungen zur Umverteilung in der 2. Säule. Die Renten seien zu hoch und liessen sich ohne Zuschüsse von Jung zu Alt nicht mehr voll finanzieren, behauptet sie. Denn die Menschen würden immer älter. Das angesparte Alterskapital inklusive Zinserträge reiche nicht für die Renten.
Die Kommission schätzte die angebliche Umverteilung seit 2014 auf 4,4 bis 8,4 Milliarden Franken pro Jahr – und schreckte damit den Bundesrat auf. Dieser will jetzt mit einer Revision des Gesetzes über die berufliche Vorsorge den Umwandlungssatz im Obligatorium deutlich senken. Das hätte auf einen Schlag fast 12 Prozent tiefere Renten zur Folge.
Doch jetzt kommt eine Expertenanalyse zum Schluss: Die Oberaufsicht malt schwarz, von einer Umverteilung in der 2. Säule kann keine Rede sein. Damit fällt das Argument für eine Senkung der Renten in sich zusammen. Der unabhängige Pensionskassenexperte Jürg Jost verfolgt die Schätzungen der Kommission schon länger und rechnete nach. Dabei berücksichtigte er im Unterschied zur Oberaufsicht, wie gross die Erträge der Pensionskassen auf den Altersguthaben waren.
Für die Jahre 2017 bis 2020 zeigt Jost auf, dass die Pensionskassen ausser 2018 jedes Jahr auch auf dem Vorsorgekapital der Rentner dank hohen Erträgen Überschüsse erwirtschafteten. Die Erträge waren 2017, 2019 und 2020 viel höher als die Aufwendungen, die es brauchte, um die Renten zu sichern (siehe Grafik im PDF).
Die Kassen konnten gar einen beachtlichen Teil der Erträge auf dem Kapital der Rentner in ihre Reserven fliessen lassen. Sie machten mit den Rentnern also Gewinne.Nur im schwachen Börsenjahr 2018 gab es auf dem Alterskapital rechnerisch keinen Ertrag. Viele Kassen mussten zur Verzinsung auf ihre Reserven zurückgreifen. Josts Fazit für 2017 bis 2020: «Es gab keine Umverteilung zugunsten der Rentenbezüger.»
Warum bezieht die Oberaufsichtskommission bei ihren Schätzungen die realen Vermögenserträge auf den Vorsorgekapitalien nicht mit ein und nimmt so laut Jost «stark verzerrende Ergebnisse» in Kauf? Die Kommission sagt, sie gehe jeweils der Frage nach, «ob die Ausgaben an die Versicherten in einem fairen Verhältnis zwischen aktiven Versicherten und Rentenbezügern stehen». Deshalb beschränke sie sich auf die Aufwendungen.
Kassen rechnen mit zu hoher Lebenserwartung
Die Schätzungen der Kommission stehen jedoch auf wackligem Grund. Denn sie stützt sich auf die Selbstdeklaration der Pensionskassen ab. Und diese legen ihren Kalkulationen zur Finanzierung der Renten fast immer eine zu hohe Lebenserwartung der Pensionierten zugrunde. Auch rechnen sie mit sehr tiefen Renditen auf den Altersguthaben der Versicherten nach der Pensionierung (saldo 2/2021). Für Jost ist klar: «Die Oberaufsichtskommission sollte an ihrer Schätzmethode dringend Korrekturen vornehmen.»
Über 190 Milliarden Reserven
2021 erzieltendie Pensionskassen auf dem Vorsorgevermögen ihrer Versicherten im Durchschnitt eine Rendite von über 8 Prozent. Viele verzinsten deshalb das Alterskapital der Versicherten höher als früher (saldo 3/2022). Einige Kassen bedachten auch die Rentner mit Zuschüssen, so etwa Profond, VSAO, PKE, SVE und Medpension.
Auch im ersten Corona-Jahr,2020, hatten die Kassen mit 3,3 Prozent eine ansprechende Nettorendite erreicht. Und von 2009 bis 2019 betrug diese im Durchschnitt gar rund 5 Prozent pro Jahr, wie aus den Pensionskassenbarometern der Grossbanken UBS und CS hervorgeht. Das zeigt: Die Pensionskassen erwirtschafteten mit den Altersguthaben ihrer Versicherten weit mehr Geld, als sie ihnen weitergeben mussten. Wie viel das ist, legt der Bundesrat jedes Jahr mit dem Mindestzins fest. Dieser lag seit 2009 nie über 2 Prozent. Seit 2017 beträgt er konstant nur 1 Prozent.
Ende 2020 verfügten die Pensionskassen und Lebensversicherer in der 2. Säule über Kapitalreserven von 190,2 Milliarden Franken. Ihr Vermögen lag damit um 73,8 Milliarden Franken höher als fünf Jahre zuvor.