Die «Neue Zürcher Zeitung» wusste schon im März des vergangenen Jahres: «Die Coronakrise wird die Deckungsgrade der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen massiv belasten.» Der Deckungsgrad zeigt an, über wie viel finanzielle Mittel eine Pensionskasse verfügt. Ein Deckungsgrad von 100 Prozent bedeutet: Die Kasse hat genügend Geld, um alle Versicherten auszuzahlen. Liegt der Wert darunter, ist die Kasse in sogenannter Unterdeckung.
In Bern beobachtet die «Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge» die finanzielle Situation der rund 1500 Pensionskassen. Im vergangenen Mai warnte sie an einer Pressekonferenz: «Die Wirtschaft ist durch die Coronakrise deutlich geschwächt.» Deshalb sei per Ende Jahr von einem «deutlichen Anstieg der Unterdeckungen auszugehen».
Deckungsgrad nicht gesunken, sondern gestiegen
Heute zeigt sich: Die heraufbeschworene Pensionskassenkrise ist nicht eingetroffen. Im Gegenteil: Gemäss dem jüngsten «Pensionskassen-Monitor» der Swisscanto Vorsorge AG sind die Kassen gar «auf einem Allzeithoch». Zu diesem Fazit kommen die Branchenprofis gestützt auf Angaben von 520 Vorsorgeeinrichtungen, die rund 80 Prozent des Pensionskassenvermögens aller Versicherten verwalten.
Der durchschnittliche Deckungsgrad der privatrechtlichen Kassen, bei denen 80 Prozent aller Angestellten versichert sind, betrug per 31. März 2021 gemäss Swisscanto 119,1 Prozent. Ende 2020 waren es 115,6 Prozent.
Ein Deckungsgrad von 115,6 Prozent bedeutet: Die Pensionskassen verfügten Ende 2020 über 15,6 Prozent mehr Geld, als sie gebraucht hätten, um alle Versicherten auszuzahlen. Gemäss Swisscanto entspricht das einem Betrag von 97 Milliarden Franken.
Mit den Rückstellungen und den sogenannt freien Mitteln stiegen die gesamten Reserven der Pensionskassen gar von 131,8 Milliarden Franken im Jahr 2017 auf 164,7 Milliarden Franken per Ende 2019 («K-Tipp» 1/2021). Für das Jahr 2020 liegen diese Zahlen noch nicht vor.
Der von den Pensionskassen ausgewiesene Deckungsgrad stellt die finanzielle Situation der Kassen in der Regel schlechter dar, als es der Wirklichkeit entspricht. Der Grund: Der Deckungsgrad ist auch abhängig davon, wie hoch die Kasse die künftige Rendite der Guthaben der Rentner einschätzt. Gemäss Swisscanto rechneten die Kassen 2019 mit einer durchschnittlichen Verzinsung von 1,7 Prozent. Das ist der sogenannte technische Zinssatz.
Tatsächliche Erträge besser als alle düsteren Prognosen
In den vergangenen Jahren erzielten die Kassen stets viel höhere Erträge. Von 2009 bis 2019 erwirtschafteten sie eine Rendite von durchschnittlich
4,7 Prozent (saldo 17/2019). Von Januar 2020 bis März 2021 waren es 7,3 Prozent. saldo hat nachgerechnet: Hätten die Kassen den technischen Zinssatz seit 2011 nicht ständig reduziert, wäre der Deckungsgrad nicht nur auf 115,6 Prozent gestiegen, sondern sogar auf gut 127 Prozent (siehe Grafik im PDF). Dieser Wert basiert auf einem unveränderten technischen Zinssatz von 3,3 Prozent. Jede Senkung des technischen Zinssatzes um ein halbes Prozent reduziert den Deckungsgrad laut Versicherungsmathematikern um 3 bis 4 Prozentpunkte. Im Klartext: Den Pensionskassen geht es noch viel besser als ausgewiesen.
Auf ihre Fehlprognose angesprochen, verweist die Oberaufsichtskommission des Bundes auf nicht näher bezeichnete «Experten». Diese hätten «mit Einbussen bei allen wichtigen Anlagekategorien» gerechnet: «Diese Befürchtungen haben sich glücklicherweise nicht bewahrheitet.»