Die Pensionskassen verschicken jeweils Anfang Jahr jedem Versicherten einen persönlichen Vorsorgeausweis. In der Rubrik «Altersleistungen» ist dort ersichtlich, wie hoch sein Guthaben im Zeitpunkt der Pensionierung voraussichtlich ausfällt. Dieses Geld kann er dann als Kapital oder als Rente beziehen. Auf diese Angaben ist jedoch kein Verlass. Es handelt sich um eine Prognose. Und die kann über das tatsächlich im Alter zur Verfügung stehende Geld täuschen.
Ein Beispiel: saldo liegen die Vorsorgeausweise einer heute 60-jährigen ledigen Frau vor. Sie arbeitet im Sozialwesen und hat seit 2005 stets den gleichen Arbeitgeber und dieselbe Pensionskasse. Der Beschäftigungsgrad variierte nur sehr wenig. Die Frau wird 2023 pensioniert. Im Jahr 2005 verdiente sie 97 248 Franken. Das prognostizierte Altersguthaben betrug damals 460 241 Franken und die jährliche Altersrente 31 296 Franken. Im Vorsorgeausweis von 2018 ist das voraussichtliche Alterskapital auf 328 726 Franken und die jährliche Rente auf 19 723 Franken geschrumpft (siehe Grafik im PDF). Und das, obwohl die Frau 2018 mit 109 600 Franken Lohn erst noch über 12 000 Franken mehr verdiente als 2005 und entsprechend jeden Monat höhere Beiträge einzahlt.
Das Alterskapital gemäss Vorsorgeausweis sank also innert 13 Jahren um 131 515 Franken. Grund: 2005 rechnete die Pensionskasse das Altersguthaben der Frau mit einem fiktiven jährlichen Zins von 2,5 Prozent bis 2023 hoch. Der tatsächlich gutgeschriebene Zins war aber deutlich tiefer. Auf dem neuesten Vorsorgeausweis rechnet die Kasse noch mit 1,5 Prozent. Aber auch diese sind nicht bis zur Pensionierung garantiert. Bei der Rente führt zudem der laufend gesenkte Umwandlungssatz zu einer Einbusse von jährlich 11 572 Franken. Das sind jeden Monat fast 1000 Franken, die im Portemonnaie der künftigen Rentnerin fehlen werden.
Nicht nur die den Versicherten prognostizierten Renten sinken – auch die im Alter tatsächlich ausbezahlten. Gemäss Berechnungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes sind die Renten seit 2005 im Mittel um fast 9 Prozent gesunken. Dies obwohl die Wirtschaft wächst und die Löhne steigen. Gabriela Medici vom Gewerkschaftsbund kritisiert: «Immer mehr Versicherte müssen immer mehr in die 2. Säule einzahlen, während gleichzeitig die in Aussicht gestellte Rente sinkt und sinkt.»
Der Grund für die sinkenden Renten liegt einerseits an der seit einigen Jahren äusserst tiefen Verzinsung des Alterskapitals. 2002 lag der gesetzliche Mindestzins noch bei 4 Prozent – heute bei mickrigen 1 Prozent.
Andererseits nahm seit 2002 der Umwandlungssatz, mit dem das Altersguthaben in eine Rente umgerechnet wird, im überobligatorischen Bereich ebenfalls kontinuierlich ab. Im Jahr 2018 rechneten die Pensionskassen, die mehr als das Obligatorium versichern, erstmals mit einem durchschnittlichen Umwandlungssatz von unter 6 Prozent. Zum Vergleich: Für das Obligatorium gilt nach wie vor ein gesetzlicher Umwandlungssatz von 6,8 Prozent.
Pensionskassenverband fordert weitere Leistungssenkung
Trotz dieser laufenden Rentenreduktionen lancierte der Branchenverband der Pensionskassen (Asip) in ausgewählten Medien kürzlich einen radikalen Vorstoss. Zuerst in der «Sonntags-Zeitung» und nachher in sämtlichen zum Verlagshaus Tamedia gehörenden Zeitungen («Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» und «Basler Zeitung») forderte er eine Senkung des Umwandlungssatzes auch im Obligatorium – und zwar von 6,8 auf 5,8 Prozent. Das würde für die am schlechtesten Versicherten 15 Prozent weniger Rente bedeuten.
Damit die Rente trotzdem nicht sinkt, schlägt der Verband für die Angestellten und Arbeitgeber höhere Beiträge vor: die 25- bis 34-Jährigen sollen statt heute 7 neu 9 Prozent bezahlen, die 35- bis 44-Jährigen statt 10 neu 12 Prozent und die 45- bis 54-Jährigen statt 15 neu 16 Prozent. Und statt heute mit 25 Jahren soll jeder Angestellte nach dem Wunsch der Pensionskassen künftig bereits ab 20 Jahren mit dem Alterssparen loslegen. Zudem sieht der Asip-Plan vor, dass künftig Frauen wie Männer mit 65 in Pension gehen. All diese Massnahmen führten zu einem höheren Altersguthaben bei der Pensionierung und trotz des tieferen Umwandlungssatzes gemäss Asip zu einer gleichbleibenden Rente. Letzte Woche publizierte der «Tages-Anzeiger» einen Bericht aus Pensionskassenkreisen, wonach ein Renteneinbruch von 30 Prozent drohe, wenn die Beiträge der Versicherten und die Zahl der Beitragsjahre nicht erhöht werden.
Angespartes Kapital beträgt 1100 Milliarden Franken
Was die Branche verschweigt: Es braucht keine Reform mit Rentenkürzung und höheren Beiträgen. Den Pensionskassen geht es nämlich heute sehr gut. Das zeigt auch die jüngste Meldung des Bundesamtes für Statistik: Kürzlich teilte es mit, dass die Pensionskassen im Jahr 2017 ihre Wertschwankungsreserven um 47,6 Prozent auf 84,8 Milliarden Franken fast verdoppeln konnten. Die freien Mittel stiegen gar um 67,7 Prozent auf 7,5 Milliarden Franken. Die Reserven der Pensionskassen sind also so hoch wie noch nie.
Die Zahlen der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge und der Finanzmarktaufsicht Finma belegen zudem, dass sich das angesparte Kapital in der 2. Säule Ende 2017 auf 1100 Milliarden Franken belief (saldo 9/2018). Davon sind aber lediglich 966 Milliarden Franken für die Erwerbstätigen und die Rentner bestimmt. 134 Milliarden des Kapitals gehören den Pensionskassen und Lebensversicherungen.