Journalisten des Schweizer Fernsehens SRF müssen sich bei ihrer Arbeit an die Grundsätze der hauseigenen «Journalismus-Charta» halten. Darin sind hohe Ansprüche an die Berichterstattung formuliert: SRF-Journalisten sollen stets belastende und entlastende Elemente recherchieren. Jede Form von Manipulation oder Verzerrung der Wahrheit mit Hilfe von Bild, Ton und Text ist verboten.
Wenn es um die Berichterstattung zu den Pensionskassen geht, geraten diese Grundsätze chronisch in Vergessenheit. Beispiel «Tagesschau» vom 5. Januar: Dort gab man der Luzerner Professorin Yvonne Seiler Zimmermann ausführlich Gelegenheit, ihre Studie zur angeblichen Umverteilung von Pensionskassengeldern von Jung zu Alt vorzustellen. Was das Millionenpublikum an diesem Samstagabend nicht erfuhr: Seiler Zimmermann hat diese Studie zusammen mit dem Basler Professor Heinz Zimmermann im Auftrag des schweizerischen Pensionskassenverbandes Asip erstellt. Gemäss den Schätzungen der Wissenschafter kommt es zu Umverteilungen von 12 Milliarden (2016) und 7 Milliarden Franken (2017) von Erwerbstätigen zu den Rentnern.
Fakt ist: Es wird zwar viel Geld umverteilt, aber nicht von den Erwerbstätigen zu den Rentnern – sondern zu den Pensionskassen. Grund: Die Beiträge der Versicherten werden zu tief verzinst – weit unter den tatsächlichen Erträgen der Pensionskassen. Die Differenz landet nicht bei den Rentnern, sondern fliesst in die Reserven der Pensionskassen. Diese steigen von Jahr zu Jahr. Letztes Jahr betrugen sie 134 Milliarden Franken (saldo 9/2018). Diese Tatsachen wurden im «Tagesschau»-Beitrag unterschlagen.
Nur die Pensionskassenbranche kommt zu Wort
Seiler Zimmermann hatte mit ihrer Studie schon zuvor in anderen Medien Auftritte: In den Tamedia-Zeitungen («Tages-Anzeiger», «Der Bund», «Basler Zeitung») erschien am 31. Dezember ein Artikel unter dem alarmistischen Titel «Die sichere Rente wird nur vorgegaukelt». In diesem Beitrag erfahren die Leser ebenfalls nur die Sicht der Pensionskassenbranche.
Auch die anderen grossen Tages- und Wochenzeitungen zeichnen in ihren Berichten ein Katastrophenszenario. Einige Beispiele aus dem kurzen Beobachtungszeitraum Dezember bis Januar: Die Zeitung «Finanz und Wirtschaft» schrieb am 21. Dezember «Pensionskassen fehlen 36 Milliarden Franken». Am gleichen Tag berichtete die «Tagesschau»: «Pensionskassen leiden.» Am 10. Januar kam die NZZ zum Schluss: «Die Reserven der Pensionskassen schmelzen.» «Pensionskassen bluten», meldete die «Aargauer Zeitung» am 17. Januar. Die «NZZ am Sonntag» hielt am 20. Januar fest: «Reserven der Pensionskassen sinken auf tiefsten Stand seit fünf Jahren.» Und «Cash online» titelte vier Tage später: «Finanzielle Lage der Pensionskassen hat sich 2018 verschlechtert.» Gar «Halbierte Reserven bei den Pensionskassen» entdeckte die NZZ am 25. Januar.
Auffallend: In sämtlichen Beiträgen wird ausschliesslich der Standpunkt der Pensionskassen oder von diesen beauftragten Experten dargestellt. Kein Journalist scheint die Informationen der Finanzbranche nachgeprüft oder kritisch hinterfragt zu haben.
Der Dezember 2018 war ein Ausreisser nach unten
Es ist kein Zufall, dass die Pensionskassen gerade über den Jahreswechsel im Fokus der Medien standen: In ihren Hiobsbotschaften nahmen sie alle Bezug auf das Börsenjahr 2018. Denn für die Berechnung der jährlichen Rendite ist der Abschluss des Börsenjahres am 31. Dezember massgebend. Der vergangene Dezember war der schlechteste Anlagemonat seit der Finanzkrise 2008. Entsprechend sanken die Kurse an den Börsen weltweit. Ein guter Zeitpunkt für Hiobsbotschaften. Beispiel «NZZ am Sonntag» vom 20. Januar 2019. Dort darf Heinz Rothacher, Chef der Complementa, einer Beratungsfirma für Vorsorgeeinrichtungen, unwidersprochen sagen: «Nach unserer Berechnung ist per Ende Jahr eine von zehn privatrechtlichen Pensionskassen in eine Unterdeckung geraten.» Und: «Für manche dieser Kassen stellt sich nun die Frage, ob sie die Beiträge erhöhen müssen, um die finanzielle Lage wieder ins Lot zu bringen.»
Seit Januar 2019 geht es an der Börse wieder kräftig aufwärts
Diese Panikmache hat keinen realen Hintergrund. Nur schon ein Blick auf den SPI (Swiss Performance Index) im Jahr 2019 zeigt dies deutlich. Zwar verlor der SPI im letzten Jahr 8,6 Prozent. Doch allein vom 1. Januar 2019 bis 14. Februar 2019 legten die an der Schweizer Börse kotierten Aktien wieder um 8,9 Prozent zu. Konkret: Würde man die Performance vom 1. Januar 2018 bis 14. Februar 2019 berechnen, würde das Minus gerade noch 0,4 Prozent betragen.
Ausser Acht lassen die Medien auch den Anlagehorizont von Pensionskassen. Keine hat ihre Aktien am 31. Dezember verkauft. Also sind real Ende Jahr auch keine Verluste eingetreten. Angestellte und Arbeitgeber zahlen während rund 40 Jahren Beiträge ein. Deshalb verfügen Pensionskassen über einen sehr langen Anlagehorizont. Die Banque Pictet publiziert regelmässig einen Langzeitvergleich von Aktien und Obligationen in der Schweiz. Der durchschnittliche jährliche Wertzuwachs am Schweizer Aktienmarkt lag im Zeitraum von Anfang 1926 bis Ende 2018 bei 7,8 Prozent.
Roman Mezzasalma, Leiter der Wirtschaftsredaktion von Fernsehen SRF, sagt gegenüber saldo: «Wir berichten über Pensionkassen mit derselben kritischen Distanz, wie wir dies bei allen anderen Themen tun. Dabei ist es nicht möglich, in jedem einzelnen kurzen Beitrag sämtliche denkbaren Positionen abzubilden.»