Orell Füssli führt in der Deutschschweiz 58 Filialen, meistens an bester Lage in der Innenstadt. Die Preise sind höher als bei der Konkurrenz. Der Band «Seinetwegen» etwa, ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis, kostet bei Orell Füssli Fr. 34.90, bei der Konkurrenz Lüthy Fr. 29.90, bei Ex Libris sogar nur Fr. 27.50.
Orell Füssli ist eine Tochter der deutschen Thalia. Die meisten Bücher kann sie zu günstigen Konditionen direkt vom Mutterhaus in Deutschland beziehen. Der Zwischenhändler in der Schweiz fällt weg. Damit spart Orell Füssli Geld. Diesen Vorteil gibt der Buchhändler aber nicht an seine Kunden weiter.
«Deutlich unter Mindestlöhnen von Aldi und Lidl»
«Wir definieren uns nicht über den günstigsten Preis, dieses Feld überlassen wir den Discountern», sagt Orell FüssliSprecher Alfredo Schilirò.
Ein ehemaliger St. Galler Filialleiter kritisiert: «Die Bücher sind massiv überteuert. Orell Füssli hat Bruttomargen, die im Schweizer Handel ihresgleichen suchen – zwischen 45 und 65 Prozent.» Die Mitarbeiter dagegen werden gemäss dem ehemaligen Filialleiter «mit Hungerlöhnen» abgespeist. «Die Saläre liegen beispielsweise deutlich unter den Mindestlöhnen von Aldi und Lidl.»
Aldi bezahlt laut eigenen Angaben mindestens 4700 Franken brutto im Monat. Gemäss dem ehemaligen Filialleiter sucht Orell Füssli wegen der tiefen Löhne «händeringend nach Quereinsteigern». Oft würden ehemalige Zahnarztgehilfinnen oder Büroangestellte eingestellt – für sogenannte TraineeProgramme. Sechs Monate dauert die Schnellbleiche, im Gegensatz zur dreijährigen Buchhändler Lehre.
Orell Füssli bestätigt: In der Filiale Rösslitor und im Laden am Bahnhof St. Gallen haben nur 11 von 28 Verkäuferinnen und Verkäufern eine dreijährige Buchhändlerlehre absolviert. Die anderen Angestellten haben einen KV-Abschluss oder sind Quereinsteiger mit einer Kurzausbildung. In den ersten drei Jahren bekommen diese «Trainees», wie Orell Füssli sie nennt, in der Regel den Mindestlohn für Ungelernte. Dieser beträgt im Buchhandel nach der Lehre gemäss Gesamtarbeitsvertrag 4275 Franken, für Ungelernte 3970 Franken pro Monat.
«Der Lohn war bei den Mitarbeitergesprächen immer das grosse Thema», sagt der einstige St. Galler Filialleiter. «Bei Neueinstellungen brachen viele der Bewerber das Gespräch vorzeitig ab, weil sie die Höhe des angebotenen Lohnes schlicht als unangemessen betrachteten.»
Mitarbeiter wechseln wegen des Lohns zur Konkurrenz
Kein Wunder, suchen einige Buchhändler von Orell Füssli einen neuen Job. Als die Buchhandelskette Lüthy vor zwei Jahren eine Filiale in St. Gallen eröffnete, wechselte eine ganze Reihe von OrellFüssliAngestellten zur Konkurrenz. Sie hätten dort mehr Freiheiten, sagten sie damals gegenüber den Medien.
«Die Wahrheit ist: Sie verdienen besser bei Lüthy», sagt der ehemalige Filialleiter, dem damals das Personal weglief. Viele Angestellte im Buchhandel arbeiten aus Idealismus in der Branche.
Für die meisten ist der Job im Buchladen noch ein Traumberuf. Für den ehemaligen Filialleiter nicht. Er hat die Branche gewechselt. Bücher liest er nur noch in der Freizeit – und die kauft er bei Amazon.