Praktisch jedes Olivenöl in den Regalen der Schweizer Detailhändler trägt die Auszeichnung «extra vergine». Einzelne Hersteller bezeichnen ihre Produkte als «natives Olivenöl extra». Das bedeutet dasselbe: «Erste Güteklasse – direkt aus Oliven ausschliesslich mit mechanischen Verfahren gewonnen». Das steht in der Schweizer Speiseölverordnung.
Doch in unabhängigen Tests schneiden die wenigsten «Extra-vergine»-Öle geschmacklich gut ab. Von 20 in der Schweiz verkauften Olivenölen erster Güteklasse erhielten im letzten «K-Tipp»-Test (15/2013) nur sieben die Note gut oder sehr gut. Die zehn italienischen Experten der Vereinigung der professionellen Olivenölverkoster benoteten den Geruch und Geschmack von 13 Olivenölen nur als knapp genügend. Alle Produkte hielten die chemischen Vorschriften ein. Die entsprechenden Analysen geben unter anderem Aufschluss über Frische und Verarbeitung des Olivenöls.
Getestet hat auch die italienische Konsumentenzeitschrift «Il Test». Sie liess vergangenen Mai die 20 meistverkauften italienischen «Extra-vergine»-Olivenöle untersuchen. 9 Olivenöle schnitten geschmacklich ungenügend ab. 10 fielen auch im chemischen Test durch. Dies löste Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Turin wegen Verdachts auf Betrug aus, wie italienische Medien im November berichteten.
Offizielle Experten «als Qualitätshüter untauglich»
Betroffen waren auch Marken, die in der Schweiz verkauft werden: Primadonna, die Eigenmarke von Lidl, Bertolli, verkauft durch Denner und Lidl, sowie Carapelli, verkauft durch Coop und Manor. Die Händler sagen, ihre internen Analysen dieser Produkte hätten keine Fehler angezeigt. Lidl erklärt, das Schweizer Primadonna-Öl stamme von einem anderen Hersteller als das italienische Öl. Leshop.ch, eine Tochterfirma der Migros, nahm die Olivenöle von Bertolli und Carapelli letzten November aus dem Handel.
Doch weshalb diese schlechten Resultate? Laut Olivenöl-Experte Andreas März von der Fachzeitschrift «Merum» arbeitet die Mehrheit der offiziell zugelassenen Degustationsexperten ungenügend. Als Qualitätshüter seien sie untauglich.
Nach welchen Vorgaben diese Gremien ein «natives Olivenöl extra» prüfen und welche chemischen Bedingungen dieses erfüllen muss, bestimmt auch in der Schweiz eine Verordnung der EU. Die Schweizer Speiseölverordnung verweist dazu auf ein 137-seitiges EU-Dokument, das bis auf die Beschaffenheit des Degustationsglases alles genauestens regelt.
Wer mehr produziert, hat grösseren Einfluss auf Prüfungskriterien
Die EU wiederum übernimmt die Vorschriften zur geschmacklichen und chemischen Qualitätsbestimmung vom Internationalen Olivenölrat in Madrid. Das ist in der Verordnung so festgelegt.
Im Rat sitzen 16 olivenproduzierende Länder inklusive Vertreter der EU. Je mehr Olivenöl und Tafeloliven ein Land produziert und exportiert, desto mehr Gewicht hat seine Stimme im Rat. Die EU hat als grösster Olivenölproduzent zwar das grösste Gewicht, kann jedoch nicht allein bestimmen. Vor einer Verschärfung der Qualitätsvorschriften zugunsten der Konsumenten müssen die Beamten der EU-Kommission die Zustimmung der Mehrheit der Olivenölratsmitglieder einholen.
Wie streng die EU-Olivenölverordnung ist, hängt deshalb auch von aussereuropäischen Erzeugerländern ab. Die drei grössten sind: die Türkei, Marokko und Tunesien. Sie sitzen ebenfalls im Olivenölrat. Laut Jens Schaps von der Europäischen Generaldirektion für Landwirtschaft in Brüssel sind international gültige Qualitätsnormen wichtig. Nur dann sei die Qualitätssicherung und Transparenz auch bei importierter Ware möglich. Der Olivenölrat und somit die EU-Kommission hat aufgrund der anhaltenden Kritik von Konsumentenorganisationen und einigen Herstellern die Anforderungen an «extra vergine» per März 2014 erhöht – trotz Widerstand von Ländern wie Spanien. Den Grenzwert für Alkylester hat die EU auf 35 Milligramm pro Kilo gesenkt. Bis 2014 lag er noch zwischen 75 und 150 Milligramm.
Manche Hersteller nehmen minderwertiges Lampantöl zum Strecken
Hintergrund: Reines «Extra-vergine»-Olivenöl enthält nach der Pressung rund 15 Milligramm Alkylester pro Kilo. «Extra-vergine»-Öl, das mit raffiniertem, ranzigem Olivenöl, sogenanntem Lampantöl, gestreckt wurde, weist deutlich höhere Alkylester-Werte auf. Alkylester sind chemische Verbindungen. Hohe Werte zeigen unter anderem an, dass minderwertige Früchte verwendet wurden.
Die Schweiz hat den verschärften Grenzwert der EU nicht übernommen, wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit bestätigt. Somit können Händler hier legal «Extra-vergine»-Olivenöle verkaufen, die in der EU als minderwertig deklassiert würden. Das kann sich laut Bundesamt bald ändern. Ein neuer Verordnungsentwurf liege vor.
«Extra vergine», «vergine» oder einfach Olivenöl?
Olivenöle mit den Auszeichnungen «extra vergine» und «vergine» müssen mechanisch aus Oliven gewonnen werden. Das heisst: Waschen, Zentrifugieren und Filtrieren sind erlaubt. Das Öl darf aber nicht mit Lösungsmitteln oder biochemischen Hilfsmitteln gewonnen werden. «Extra-vergine»-Öl muss laut Schweizer Speiseölverordnung strengere geschmackliche und chemische Anforderungen erfüllen als «Vergine»-Öl.
n Olivenöl ohne den Zusatz «extra vergine» oder «vergine» – wie etwa das Prix-Garantie-Olivenöl von Coop – besteht aus raffiniertem Olivenöl und einem unbestimmten Anteil nativen Öls. Natives Öl ist mechanisch gewonnenes Öl aus Oliven. Bei der Raffinierung wird ein ungeniessbares Lampantöl chemisch und physikalisch gereinigt. Raffiniertes Olivenöl allein darf nicht an Konsumenten verkauft werden. Es muss zwingend mit nativem Öl verschnitten werden.
So erkennen Sie gute Qualität
- Steht ein Jahrgang auf einer «Extra-vergine»-Flasche, kann das auf gute Qualität hinweisen. Denn diese Angabe ist nur erlaubt, wenn 100 Prozent des Inhalts aus demselben Erntejahr stammt. Eine Qualitätsgarantie ist der Hinweis aber nicht.
- «Extra-vergine»-Öle in einem durchsichtigen Behältnis sind wenig vertrauenswürdig. Olivenöl ist lichtempfindlich. Fachhändler lagern es deshalb vor Licht geschützt.
- Gutes Olivenöl muss nicht aus Italien kommen. Eine italienisch aussehende Etikette sagt zudem nichts über die Herkunft aus. Monini Classico wirbt mit «No. 1 in Italia» (erhältlich bei Migros). Das Öl ist ein Verschnitt aus EU-Olivenölen. Das steht nur klein auf der Rückseite der Flasche. In der Schweiz ist das erlaubt. In der EU wäre es unzulässig, die Ursprungsbezeichnung muss im Hauptsichtfeld der Frontetikette stehen.
- Die italienisch wirkenden Marken Carapelli oder Bertolli gehören zum spanischen Olivenölkonzern Deoleo. Der Olivenölhersteller Filippo Berio (erhältlich bei Coop) gehört dem chinesischen Lebensmittelkonzern Bright Foods.
- Die gesunden Stoffe in unreifen grünen Oliven heissen Polyphenole. Diese Antioxidantien sorgen für die charakteristische Bitterkeit und leichte Schärfe in qualitativ hochwertigem Olivenöl. Je mehr Polyphenole im Olivenöl sind, desto schärfer und bitterer schmeckt es. Gute Olivenöle mit hohem Polyphenolgehalt kratzen in der Kehle und schmecken grünfruchtig bis pfeffrig. Je höher der Polyphenolgehalt, desto hochwertiger und länger haltbar das Öl.
So entsteht gute Qualität
- Je reifer Oliven sind, desto weniger Polyphenole enthalten sie. Hochwertiges Olivenöl presst man aus unreif gepflückten Oliven. Fallen Oliven vom Baum, sind sie bereits reif und beginnen zu oxidieren. Die gesunden Stoffe zersetzen sich. Werden herunterfallende Oliven in Netzen gesammelt oder maschinell vom Boden aufgelesen, leidet die Qualität.
- Der Transport in die Ölmühle erfolgt gut durchlüftet. Dort werden die Oliven idealerweise am selben Tag und ohne Lagerung an der Sonne von Blättern befreit, gewaschen, getrocknet und verarbeitet.
- Gute Ölmühlen arbeiten bei Temperaturen unter 25 Grad und ohne Sauerstoff, um die natürliche Zersetzung zu bremsen. In der Mühle werden die Oliven gemahlen, der Olivenbrei wird geknetet, in Zentrifugen wird das Öl von den Feststoffen getrennt und danach gefiltert.