Mehr als 40 Staaten und mehr als 20 Regionen in den Nachbarländern der Schweiz stehen momentan auf der Liste der Gebiete «mit erhöhtem Ansteckungsrisiko». Das Bundesamt für Gesundheit aktualisiert die Liste alle 14 Tage. Wer aus einem Risikogebiet in die Schweiz einreist, muss für zehn Tage in Quarantäne. Von dieser Vorschrift waren Ende vergangener Woche rund 5700 Personen betroffen. Es dürfte sich vor allem um Reisende handeln, die auf Flughäfen ankamen. Bahnreisende und Autofahrer werden an der Grenze selten auf ihre Herkunft kontrolliert. Das wäre gar nicht möglich: 2015 überquerten durchschnittlich jeden Tag 2,2 Millionen Menschen die Landesgrenze. Neuere Zahlen dazu gibts beim Bundesamt für Statistik nicht.
Anteil Infizierter «relativ gering» bis «sehr klein»
Wie viele Leute mussten sich in der Schweiz seit Einführung der Risikoliste Anfang Juli 2020 gesamthaft schon in Reisequarantäne begeben? Das kann das Gesundheitsamt auf Anfrage nicht sagen. Es schätzt die Zahl auf rund 90 000 – und liegt damit viel zu tief. saldo fragte bei zahlreichen Kantonen nach, denn diese sind für die Überwachung der Reisequarantäne zuständig. Zwölf Kantone gaben Auskunft. Und allein in diesen zwölf Kantonen befanden sich seit vergangenem Juli rund 142 000 Personen in Reisequarantäne.
Was saldo auch noch wissen wollte: Wie gross war unter den Personen in Reisequarantäne der Anteil jener, die sich mit dem Coronavirus angesteckt hatten? «Relativ gering» beziehungsweise «sehr klein», antworteten Schwyz und Basel-Stadt. Sie nannten aber wie die meisten anderen Kantone keine Zahlen. Die gab es nur gerade aus drei Kantonen: Zürich bezifferte den Anteil auf 2,5 Prozent, Schaffhausen auf 1 Prozent und Zug auf ungefähr 1 Promille. Das zeigt: Von 100 Personen in Reisequarantäne waren mindestens 97 nicht Corona-positiv.
«Politische Entscheidung», um Leute vom Reisen abzuhalten
Auf die Entwicklung der Pandemie hat die Quarantänepflicht nach der Einreise aus Risikoländern also kaum nennenswerten Einfluss. Dieser Befund zeichnete sich schon vor Monaten ab, und zwar aufgrund einer Erhebung im Kanton Genf zwischen Anfang Juli und Mitte September. Resultat: Nur 0,52 Prozent der 5990 Personen, die in dieser Zeit in Reisequarantäne waren, erwiesen sich als Corona-positiv. Das Bundesamt für Gesundheit räumte bei einem Treffen mit Kantonsärzten im September den geringen Effekt der Reisequarantäne selber ein. Und es erklärte, bei dieser Regelung handle es sich um eine «eher politische Entscheidung» mit dem Ziel, Leute vom Reisen abzuhalten.
Diesem Ziel kam man ziemlich nahe. So zeigt ein Blick auf die Daten von acht Stationen zur Strassenverkehrszählung in Grenznähe: Die Zahl der Ferien- und Freizeitfahrten lag im Dezember 2020 um fast 34 Prozent tiefer als im Dezember 2019. Den Luftverkehr traf es noch viel härter, wie weitere Daten aus dem Bundesamt für Statistik zeigen: Auf den Schweizer Flughäfen ging die Zahl der Passagiere vergangenes Jahr im Vergleich zu 2019 um 42 Millionen beziehungsweise rund 72 Prozent zurück.
Aber nicht nur den Tourismus, auch den Steuerzahler kommt die Reisequarantäne teuer zu stehen. Denn wer davon betroffen ist, hat Anspruch auf eine Erwerbsausfallsentschädigung des Bundes, sofern das bereiste Gebiet bei der Abreise noch nicht auf der Risikoliste war.
Laut Bundesamt für Sozialversicherungen summierten sich die Quarantäneentschädigungen bislang auf rund 170 Millionen Franken. Nicht bekannt ist, wie viel davon an Betroffene der Reisequarantäne floss und wie viel an Personen, die im Alltag nach dem Kontakt mit einem Infizierten in Quarantäne gehen mussten.