Der Gerichtssaal des Bezirksgerichts Hinterrhein in Thusis GR ist voll. Anwesend sind ein Aktuar, eine Protokollführerin, der Kläger mit seiner jungen Anwältin, der Beklagte ohne Anwalt sowie eine Zeugin. Und weil es um viel Geld geht, kommen dazu noch fünf Richter.
Die Verhandlung beginnt mit der Einvernahme einer Zeugin: Der vorsitzende Richter will von der Vertreterin einer Immobilienfirma wissen, wem das Inventar der Pizzeria gehört. Die Firma ist die Hauseigentümerin und Verpächterin der Pizzeria. Die Frau sagt, grössere mobile Geräte wie die Kaffeemaschine und der eingebaute Pizzaofen würden mitsamt der übrigen Raumeinrichtung der Immobilienfirma gehören. Und was ist mit dem Besteck, den Pfannen und den Küchenmaschinen wie Grill und Mixer, will der Richter wissen? Diese seien Eigentum des Pächters.
«Der Verkäufer kann nicht etwas verkaufen, das ihm nicht gehört»
Nun will der Richter wissen, warum der Kläger von seinem Vorgänger, dem früheren Pächter, 95 000 Franken fordert. Dessen Anwältin erklärt: Die beiden hätten einen Kaufvertrag über Warenvorräte und die mobilen Geräte geschlossen. Der Kaufpreis dafür habe 40 000 Franken betragen. Mündlich sei eine weitere Zahlung über 60 000 Franken für das Inventar vereinbart worden. Insgesamt habe ihr Klient dem ehemaligen Pächter nachweislich 100 000 Franken überwiesen.
Ihr Klient sei bereit, für die übernommenen Vorräte 5000 Franken zu bezahlen. Den Rest der 100 000 Franken fordere er aber zurück. Er sei davon ausgegangen, dass dieser Betrag für das gesamte Kleininventar und alle Geräte geschuldet sei – also auch für den Pizzaofen und die Kaffeemaschine. Erst als der Pizzaofen ausgewechselt wurde, habe der Kläger von den wahren Eigentumsverhältnissen erfahren. Der Verkäufer könne nicht etwas verkaufen, das ihm gar nicht gehöre.
Die beiden Parteien verzichteten auf eine Inventarliste
Der Beklagte hat dafür kein Gehör: «Ich schulde meinem Nachfolger kein Geld», sagt er bestimmt. Zwar würden Pizzaofen, Kaffeemaschine und Tische tatsächlich der Immobilienfirma gehören, doch habe das der Kläger gewusst. Zudem habe er dem Nachfolger Wein, tiefgekühlte Lebensmittel und Getränke im Wert von 20 000 bis 30 000 Franken sowie einen Computer und die Kreditkartenterminals überlassen. Sein Nachfolger habe den erfolgreichen Betrieb eins zu eins übernehmen können, ohne jede Anschaffung. «Ich nehme nur meine Jacke», habe er zu ihm gesagt. «Nicht einmal einen Zahnstocher habe ich mitgenommen.»
Das Restaurant sei sehr gut gelaufen. Wegen einer schweren Krankheit habe er es aber so schnell wie möglich abgeben wollen. Im gegenseitigen Einverständnis sei darauf verzichtet worden, eine genaue Inventarliste zu erstellen. «Ich kämpfte um mein Leben, das Geschäft war mir in dem Moment nicht wichtig.» Der Vorsitzende schliesst die Verhandlung und kündigt ein schriftliches Urteil an.
60 000 Franken als Zahlung für «einen gut laufenden Betrieb»
Einen Tag später weist das Gericht die Klage ab. Und zwar ohne Wenn und Aber: Der Beklagte habe keine fremden Sachen verkauft. Pizzaofen, Kaffeemaschine und Tische seien gar nicht Gegenstand des Kaufvertrags gewesen. Käufer und Verkäufer seien übereingekommen, keine Inventarliste zu machen. Es könne bei einem solch «fliegenden Wechsel» eines Restaurants für den Käufer «nicht jenseits des Vorstellbaren liegen», dass gewisse Mobilien der Vermieterin gehören. Dass der Beklagte fremdes Eigentum absichtlich oder grobfahrlässig verschwiegen habe, sei nicht nachgewiesen.
Laut schriftlichem Kaufvertrag seien 40 000 Franken für Vorräte, mobile Maschinen und Geräte geschuldet gewesen. Die lediglich mündlich vereinbarten 60 000 Franken seien dafür gezahlt worden, dass der Käufer einen «gut laufenden Betrieb mit Haut und Haaren» übernehmen konnte. Der Kläger habe diese Zahlung in der eigenen Buchhaltung im Übrigen selbst unter der Bezeichnung «Goodwill» verbucht.
Prozessieren: Verträge beweisen nur, was drinsteht
Die meisten Verträge sind schon in mündlicher Form gültig. Das Problem daran: Im Streitfall lässt sich kaum beweisen, was unter den Vertragspartnern genau vereinbart wurde. Das ist für die klagende Partei problematisch. Denn sie muss in einem Gerichtsverfahren beweisen, dass sie etwas zugut hat – nicht die Beklagte. Deshalb sollte man Verträge schriftlich festhalten. Es hilft überdies, spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Aber auch schriftliche Verträge sind nur so gut wie ihr Inhalt. Sie helfen nicht weiter, wenn sie schludrig abgefasst sind. In einen Kaufvertrag etwa gehört nicht nur die Kaufsumme, sondern auch die genaue Beschreibung der gekauften Gegenstände. In einen Arbeitsvertrag nicht nur die Höhe des Lohns, sondern auch die Arbeitszeit. Und in einen Darlehensvertrag nicht nur der Betrag, sondern auch der Rückzahlungstermin.