Neue Produkte sollten besser sein als ältere. Bei Medikamenten ist diese Annahme häufig falsch. Diesen Schluss zieht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln. Die Forscher des Instituts bewerten seit 2011 den Nutzen und Schaden von neuen Medikamenten, die in Deutschland auf den Markt kommen. Kürzlich zogen sie Bilanz: 166 der 288 überprüften Medikamente haben keine Vorteile gegenüber vorhandenen Therapien.
Die Hersteller konnten nicht nachweisen, dass ihre Arzneien das Leben der Patienten verlängern, die Lebensqualität stärker verbessern oder Symptome mehr lindern als erprobte Medikamente. Am schlechtesten kamen neue Psychopharmaka weg: 94 Prozent haben keine zusätzlichen positiven Effekte. Das gilt auch für 83 Prozent der Präparate gegen Diabetes.
Drei von vier neuen Medikamenten sind teurer
Neue Medikamente in der Schweiz schneiden genauso schlecht ab. Seit 2015 nahm das Bundesamt für Gesundheit 126 neue Präparate in die sogenannte Spezialitätenliste auf. Krankenkassen müssen diese Medikamente vergüten. 69 davon nahm das Kölner Institut unter die Lupe: 47 bringen Patienten keinen Zusatznutzen. Das sind 68 Prozent der überprüften Mittel. Nur 9 Präparaten bescheinigten die Forscher einen «beträchtlichen oder erheblichen» Nutzen (siehe Grafik im PDF). Darunter sind mehrere neue Mittel gegen Krebs und Infektionen wie Hepatitis C.
Neue Arzneimittel ohne Zusatznutzen treiben die Behandlungskosten in die Höhe. Drei Viertel davon sind teurer als ältere Präparate (saldo 15/2013). Laut Etzel Gysling, Herausgeber des Fachblatts «Pharma-Kritik», verordnen viele Ärzte lieber neue Originalpäparate ohne Zusatznutzen als Generika. So machte die US-Firma Pfizer mit dem Brustkrebsmittel Ibrance im ersten Halbjahr 2019 über 23 Millionen Franken Umsatz. Das Diabetesmittel Suliqua und das Asthmamedikament Fasenra kamen auf je 500 000 Franken. Keines der Mittel hat einen belegten Zusatznutzen. Anders in Deutschland: Fällt dort ein neues Medikament bei der Prüfung durch das Kölner Institut durch, müssen es die Kassen nicht mehr bezahlen – oder der Hersteller muss den Preis senken.
Schweiz prüft nicht, ob neue Mittel Zusatznutzen bringen
Das Bundesamt für Gesundheit räumt ein, dass neue Medikamente teurer sein können. Grund dafür sei der Auslandpreisvergleich. Das Amt berechnet die Schweizer Preise auf der Basis der Kosten von Vergleichstherapien sowie den Preisen des neuen Präparats in neun Ländern wie Deutschland, Belgien oder den Niederlanden. Das Bundesamt verschweigt, dass es dabei nur die stark überhöhten Listenpreise in hochpreisigen Ländern berücksichtigt, nicht die tatsächlich bezahlten Summen («K-Tipp» 19/2018).
Patrick Durisch von der Nichtregierungsorganisation Public Eye kritisiert, dass in der Schweiz «niemand genau prüft, ob neue Medikamente Patienten wirklich etwas bringen». Das Bundesamt für Gesundheit kontrolliere nur, ob die gesetzlichen Bedingungen für die Kostenerstattung erfüllt seien.Andreas Schiesser vom Krankenkassenverband Curafutura fordert: «Mittel ohne zusätzlichen Nutzen sollten höchstens gleich viel kosten wie vorhandene Arzneien.» Arzt Etzel Gysling verlangt, dass jeder Hersteller nachweisen sollte, «dass das neue Präparat besser wirkt als die verfügbare Therapie». Bisher testeten sie neue Präparate häufig nur gegen Placebos.
Hersteller kassieren «Innovationszuschläge»
Das Bundesamt für Gesundheit belohnt Hersteller für Medikamente, die angeblich einen «bedeutenden therapeutischen Fortschritt» bringen. Seit Anfang 2015 bewilligte es 13 «Innovationszuschläge» an die Hersteller von kassenpflichtigen Präparaten. Die Hersteller dürfen diese Mittel in der Regel bis maximal 20 Prozent teurer verkaufen als die bisherige Standardtherapie. Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen jedoch sprach 7 der 13 Medikamente jeden Zusatznutzen ab. So auch dem Brustkrebsmittel Perjeta von Roche. Der Basler Konzern hatte dafür einen «Innovationszuschlag» von 50 Prozent bekommen. Public Eye kritisiert, dass das Bundesamt Zuschläge oft «intransparent» oder aus «politischen Erwägungen» vergebe. Das Amt entgegnet, es führe 2020 ein neues Bewertungsmodell ein, um den «Mehrnutzen» eines Arzneimittels genau zu bestimmen.