Viele Leute leiden an trockenen Augen und benützen Tränenersatzmittel. Die deutsche Firma Ursapharm mit Sitz in Hünenberg ZG bringt jetzt das Präparat Evotears in die Apotheken. Das rezeptfreie Mittel enthält statt Wasser einen Stoff mit dem komplizierten Namen Perfluorhexyloctan. Der Hersteller wirbt damit, dass Evotears dank der neuen Substanz ohne Konservierungsmittel sechs Monate haltbar sei und vor «Unverträglichkeitsreaktionen» wie Augenbrennen schütze.
Gefahr für Neugeborene und erhöhtes Krebsrisiko
Das Fachblatt «Arznei-Telegramm» rät von Evotears ab: Der Hersteller könne nicht belegen, dass die Tropfen tatsächlich besser verträglich seien als bereits existierende wasserhaltige Präparate. Perfluorhexyloctan ist zudem ein per- und polyfluoriertes Alkyl, kurz: ein PFAS.
Die wenigsten Substanzen dieser Gruppe sind erforscht. Sicher ist, dass bestimmte PFAS das Geburtsgewicht von Babys senken, das Immunsystem stören und das Krebsrisiko erhöhen können (saldo 4/2023). Joëlle Rüegg, Schweizer Professorin für Umwelttoxikologie an der Universität Uppsala in Schweden, sagt: «Da man von vielen PFAS nicht weiss, ob sie schädlich sind, würde ich solche Arzneimittel meiden.»
Ursapharm bestreitet, dass Perfluorhexyloctan toxisch wirke und sich in der Umwelt anreichere. Die Firma musste den Schweizer Zulassungsbehörden aber keine Umweltdaten für ihr neues Medizinprodukt vorlegen, wie Swissmedic bestätigt.
Firmen, die ein neues Mittel mit neuem Wirkstoff zulassen wollen, müssen Swissmedic stets Daten zu Umweltrisiken vorlegen. Bei Medikamenten mit bekannten Wirkstoffen ist das nur der Fall, wenn eine erhöhte Umweltbelastung zu erwarten ist. Die Umweltdaten spielen aber laut Swissmedic beim Entscheid über die Zulassung in der Schweiz und in der EU keine Rolle.
Viele zugelassene Medikamente enthalten heikle Stoffe
Die neuen Augentropfen sind nur die Spitze des Eisbergs. Der Europäische Verband der Pharmaindustrie schätzt, dass über 100 zugelassene Medikamente PFAS enthalten. Laut Swissmedic gilt das auch für die Schweiz. Dazu gehören das Diabetesmittel Januvia, das Malaria-Prophylaxe-Mittel Mephaquin und das HIV-Präparat Efavirenz. Die Industrie nutzt die Stoffe vor allem wegen ihrer langen Haltbarkeit.
Die Apothekerin Anja Thijsen vom internationalen Verein Pharmacists for the Future bezweifelt, dass der Einsatz von PFAS stets nötig ist. Sie fordert: «Die Umweltverträglichkeit der Medikamente muss künftig in den Zulassungsverfahren der Behörden auch Konsequenzen haben.» Patienten müssten es zudem durch eine Deklarationspflicht erfahren, wenn Mittel heikle Inhaltsstoffe enthalten.
Swissmedic tut jedoch erst einmal nichts, um Patienten und Umwelt besser zu schützen: Auf Anfrage antwortet ein Sprecher: «Swissmedic verfolgt das Thema, vor allem in den internationalen Gremien.»
Von den neuen Augentropfen hält Apothekerin Thijsen wenig: «Ein Zusatznutzen gegenüber vorhandenen Produkten ist nicht oder nur sehr begrenzt vorhanden. Trockene Augen lassen sich gut mit PFAS-freien Augentropfen behandeln.»