Montag, kurz nach 9 Uhr, am Bahnschalter in Nottwil LU: «Gilt das Billett nach Luzern auch für den Bus ins Verkehrshaus?» «Ja», sagt Marie-Theres Murer, «brauchen Sie einen Fahrplan?»
Murer steht seit 1993 hinter dem Schalter direkt am Sempachersee. Zusammen mit zwei Kolleginnen führt sie den Bahnhof der 3500-Seelen-Gemeinde. Die SBB wollten ihn schon vor 20 Jahren schliessen. Die Gemeinden Nottwil und Buttisholz, das lokale Seminarhotel und das Paraplegikerzentrum übernahmen den Betrieb. Deshalb ist der Schalter noch immer bedient.
«Das Bedürfnis der Kunden nach einem Schalter ist noch immer stark. Das zeigen unsere Zahlen», sagt Marius Christ, Geschäftsführer der Gemeinde Nottwil. Trotz der Verlagerung ins Internet steigt der Umsatz des kleinen Bahnhofs von Jahr zu Jahr. 2013 lag er rund 25 Prozent höher als 2010.
«Weniger Vandalismus, weil der Bahnhof besetzt ist»
Ein Teil des Mehrumsatzes geht auf die Preiserhöhungen zurück. Doch erstaunlicherweise machte der Nottwiler Billettautomat nach den starken Preiserhöhungen weniger Umsatz, der Schalter aber deutlich mehr. Die Beratung am Schalter ist offensichtlich gefragt. Nottwil zählt seit 1993 laufend mehr Kunden. Marie-Theres Murer glaubt, dass dies auch auf die verkürzten Öffnungszeiten anderer Bahnhöfe zurückzuführen ist. So stünden im benachbarten Sursee die Leute manchmal bis auf die Strasse an.
Positiv ist für die Gemeinde zudem: «Es gibt weniger Vandalismus, weil der Bahnhof besetzt ist», sagt Christ. Trotzdem ist der Fortbestand des Bahnhofs nicht garantiert. Grund ist das neue Abgeltungssystem der SBB, das den 14 privaten Stationshaltern der Schweiz weniger Verdienst zugesteht.
So machte der Nottwiler Bahnhof bei einem Umsatz von rund 1,4 Millionen Franken im letzten Jahr rund 30 000 Franken Defizit. «Wir stehen unter starkem Spardruck. Es kann nicht sein, dass wir für den Kundenservice der SBB Steuergelder verwenden müssen», sagt Marius Christ.
Islikon, Gemeinde Gachnang, Kanton Thurgau: Die Fahrt von Oberwinterhur in die Frauenfelder Agglomeration dauert 8 Minuten und kostet seit vorletztem Dezember für eine einfache Fahrt in der 2. Klasse 9 Franken statt Fr. 3.40. Im kleinen Bahnhof verkauft Vreni Züger Billette, Reisen und Getränke.
Gachnang hat zwar nur rund 3600 Einwohner. Doch der Schalter des Bahnhofs Islikon ist neu sogar am Samstag geöffnet. «Wir haben bemerkt, dass dies ein Bedürfnis ist, und zählen nun gleich viele Kunden wie an anderen Wochentagen», sagt die Stationshalterin.
Zusammen mit zwei Teilzeitangestellten bediente Züger 2013 mehr Kunden und erhöhte den Umsatz deutlich gegenüber dem Vorjahr. Seit dem Jahr 2000 wirtschaftet die ehemalige Lehrerin in Islikon auf eigene Rechnung. Der Betrieb des Bahnschalters sei rentabel, würde aber nicht als Lebensunterhalt reichen, sagt sie. Hätten die SBB den Vertrag letztes Jahr nicht geändert, hätte Züger aber eine um 22 Prozent höhere Provision erhalten – und der Gewinn wäre massiv höher ausgefallen.
«Uns wurde wiederholt gesagt, dass die Kosten zu hoch seien»
Trotz steigender Umsätze ist die Stimmung bei den privaten Bahnhofsbetreibern nicht die beste. «Ich habe den Eindruck, dass die SBB die privaten Stationshalter nicht mehr wollen», sagt Ueli Pfister vom Verkehrsladen im Bahnhof Tecknau BL. «Offiziell bestreiten sie dies zwar, aber uns wurde wiederholt gesagt, dass die Kosten für den Schalterbetrieb zu hoch seien. Obwohl wir für Räume und Informatik Miete bezahlen müssen.» Pfister ärgert sich: «Als ich vor 22 Jahren anfing, legte ich für die SBB meine Hand ins Feuer. Heute kann ich nicht mehr voll hinter dem Unternehmen stehen.» Aus finanziellen und persönlichen Gründen wird Pfister seinen Bahnhof 2015 schliessen.
Private Stationshalter: SBB kürzen die Provisionen
Seit 2013 zahlen die SBB privaten Stationshaltern für den Verkauf eines Generalabos (GA) noch pauschal 50 Franken. Zuvor erhielten sie 9 Prozent des Verkaufspreises. Bei einem 2.-Klasse-GA für Erwachsene waren das rund 300 Franken. «Es ist schwieriger geworden, genug zu verdienen», sagt Karl Reichenbach vom Bahnhof Schänis SG.
Zahlt ein Kunde das GA mit der Kredit- oder Reka-Karte, gehen bis zu 3 Prozent des Kaufpreises an das Kreditkarteninstitut oder die Reka. Bei einem 2.-Klasse-Erwachsenen-GA sind das Fr. 106.50. In diesem Fall machen die Stationshalter mit dem Verkauf einen Verlust von Fr. 56.50.
Die Stationshalter haben bei den SBB eine Nachbesserung der Verträge verlangt. «Doch die liessen nicht mit sich reden», so Ueli Pfister vom Verkehrsladen im Bahnhof Tecknau BL. Das nächste Gespräch folgt im März. Laut den SBB sollen dann vorab Vertriebsthemen besprochen werden. Vertragsänderungen seien nicht angedacht. Die SBB hätten aber Interesse, das Stationshaltermodell weiterzuführen.
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