Schweizer Bauern greifen seltener als früher zum umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat: Die verkaufte Menge ging laut dem Bundesamt für Landwirtschaft von 2008 bis 2016 um ein Viertel zurück.
Insgesamt verspritzen die Bauern jedoch unverändert viel Gift – rund 2200 Tonnen im Jahr. Laut Philippe Schenkel von Greenpeace Schweiz sind darunter viele Pestizide, die «erheblich giftiger sind als Glyphosat». Zum Beispiel Schädlingsbekämpfungsmittel mit dem Wirkstoff Chlorpyrifos. Die Bauern besprühen damit unter anderem Trauben, Äpfel, Raps, Weizen, Rüebli oder Kartoffeln.
Das Bundesamt für Landwirtschaft prüft, ob das Pestizid «die aktuellen Anforderungen für eine Zulassung» noch erfüllt. Bis Ende Jahr will es entscheiden.
Greenpeace und die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz wollen den Einsatz von Chlorpyrifos verbieten. Der Bauernverband lehnt das ab: Es gebe etwa bei Zuckerrüben, Kartoffeln und Raps keine Alternativen. Zudem habe der Bund den Einsatz in den letzten Jahren bereits eingeschränkt.
Bundesamt will die Akteneinsicht einschränken
Bisher konnten Umweltverbände wie Greenpeace und der WWF bei der Zulassung von Pestiziden nicht mitreden. Dank einem Urteil des Bundesgerichts vom Februar sollen sie künftig die Akten einsehen können und Mitsprache haben – genau wie die Pestizid-Hersteller. Das Bundesamt für Landwirtschaft will den Umweltverbänden aber nur Zusammenfassungen der Akten schicken.
Wissenschaftlich ist die Sache eindeutig: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit warnt, dass Chlorpyrifos für Vögel, Säugetiere, Fische, Bienen und andere Gliederfüsser sehr giftig sei.
«Eine ähnliche Struktur wie chemische Kampfstoffe»
Schon kleinere Dosen verursachen beim Menschen Kopfweh, Müdigkeit oder Durchfall. Das Nervengift kann die Fortpflanzungsfähigkeit und die Hormone stören. Es steht im Verdacht, die Hirnentwicklung von Kindern zu beeinträchtigen und deren Intelligenz zu mindern. Für den Zürcher Pestizidexperten und Anwalt Hans Maurer ist das kein Wunder: «Chlorpyrifos hat eine ähnliche Struktur wie chemische Kampfstoffe.»
Die Forschungsanstalt Agroscope untersuchte in einer neuen Studie die Umweltwirkung von gängigen Pestiziden beim Einsatz in verschiedenen Kulturen. Autor Thomas Nemecek sagt: «Von den untersuchten Pestiziden hat Chlorpyrifos etwa im Raps die höchste schädliche Wirkung auf Gewässer.» Laut dem Bundesamt für Umwelt sind höhere Konzentrationen eine Gefahr für Wasserlebewesen.
Das Genfer Kantonslabor fand das Gift in den vergangenen sechs Jahren in 296 Obst- und Gemüseproben. 15 Proben überschritten die erlaubten Höchstmengen. Fünf davon stammten aus der Schweiz. Der «Gesundheitstipp» entdeckte das Gift in 4 von 30 Schweizer Äpfeln aus der Migros, von Coop und Manor («Gesundheitstipp» 11/2017).
Greenpeace stellte Chlorpyrifos vor drei Jahren in vier von sieben Bodenproben aus Schweizer Apfelplantagen fest. «Die Zulassung und Überprüfung von Pestiziden in der Schweiz ist eine Blackbox», sagt Philippe Schenkel von Greenpeace. Viele Entscheide seien nicht nachvollziehbar. Zumeist gewichte das Bundesamt für Landwirtschaft die Interessen der Agro-Branche höher als den Schutz von Mensch und Umwelt. Das Bundesamt bestreitet das.
Bund senkt Grenzwert – aber Kontrollen sind kaum möglich
Das Bundesamt für Umwelt will die erlaubte Menge von Chlorpyrifos in Gewässern um den Faktor 217 senken. Bislang dürfen in einem Liter Wasser 0,1 Mikrogramm des Giftes enthalten sein. Nächstes Jahr sollen es höchstens 0,00046 Mikrogramm sein. Martin Forter von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz kritisiert den neuen Grenzwert allerdings als «Papiertiger». Es gebe gar keine Messmethoden für den Nachweis solch geringer Konzentrationen: «Das Gift wird weiter die Flüsse verdrecken – und keine Behörde kann es wirklich kontrollieren.»