Anfang der Neunzigerjahre zahlten Banken rund 5 Prozent Zins auf Sparkonten. Aus 20 000 Franken wurden in zehn Jahren dank Zins und Zinseszins über 32 000 Franken. Heute sind mit einem Zins von 0,025 Prozent nach zehn Jahren nur 20 050 Franken auf dem Konto.
Genau mit diesem Zinssatz müssen Postfinance-Kunden seit dem 1. November rechnen. Auf dieses Datum senkte die Postbank den Zins auf Sparkonten ein weiteres Mal. Und beim 3a-Vorsorgekonto von 0,2 auf 0,15 Prozent. Dazu kommt: Die Kunden müssen seit Januar jährlich
60 Franken Gebühren für die Kontoführung bezahlen. Das bedeutet: Ein Postkonto ist heute für die Bevölkerung ein Verlustgeschäft. Die Kunden reagieren auf die immer schlechter werdenden Bedingungen der Postfinance: Seit Oktober 2018 haben 70 000 ihr Konto bei der Postfinance gekündigt.
Negativzinsen treffen immer breitere Kreise
Verantwortlich für die Misere ist die Schweizerische Nationalbank. Sie führte Ende Januar 2015 Negativzinsen ein. So will die Nationalbank verhindern, dass Ausländer vermehrt ihr Geld in der Schweiz anlegen. Doch diese Massnahme traf auch die Sparer in der Schweiz. Und ermutigte die Schweizer Banken, von Firmenkunden und Anlegern wie Pensionskassen einen Strafzins zu verlangen. In jüngster Zeit sind auch immer mehr Privatkunden davon betroffen.
Verschiedene Politiker fordern, dass die Nationalbank ihre Einnahmen aus den Negativzinsen in den AHV-Fonds überweist oder damit die Invalidenversicherung saniert. Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, schlägt vor, das Geld an die Pensionskassen zu überweisen: «Die ungefähr 2 Milliarden Franken, die die Nationalbank jährlich mit dem Negativzins einnimmt, müssen zurück an die Bevölkerung.» Auf -diese Weise liessen sich Rentensenkungen rückgängig machen. Und die Arbeitnehmer müssten weniger Lohnbeiträge an die Pensionskassen zahlen.
Das hält Nationalbankpräsident Thomas Jordan für keine gute Idee: «Die Nationalbank ist für die Geldpolitik unseres Landes zuständig – und nicht für die Sozialpolitik und ebenso wenig für die Vorsorgewerke», sagte Jordan in einem Vortrag Ende Oktober vor Pensionskassenvertretern.
Die Bankiervereinigung hat kein Verständnis für die Negativzinspolitik. Sie hält diese weder für wirksam noch für notwendig. «Sie verursacht jedoch eine beträchtliche Umverteilung von Sparern zu Schuldnern und von Banken zur Exportwirtschaft», heisst es in einer im vergangenen Monat veröffentlichten Studie.
Die Gewinner
Die Nationalbank: Seit Einführung der Negativzinsen hat sie gemäss eigenen Angaben damit 6,756 Milliarden Franken eingenommen.
Bund, Kantone und Gemeinden: Wer dem Bund Geld leiht, erhält seit geraumer Zeit keinen Zins mehr. Im Gegenteil: Er legt drauf. Aktuell beträgt die Rendite auf Bundesobligationen –0,51 Prozent. Das heisst: Wer heute für 10 000 Franken Bundesobligationen kauft, erhält in zehn Jahren nur rund 9500 Franken zurück. So macht der Bund aus gepumptem Geld Gewinn. Das Gleiche gilt für Kantone und Städte. Der Kanton Zürich etwa machte damit letztes Jahr einen Gewinn von 4,7 Millionen Franken. «Für die Gemeinden sind die Negativzinsen ein Segen», sagt Christoph Lengwiler, Finanzprofessor an der Hochschule Luzern. Dazu kommt: Die Steuereinnahmen sprudeln. Denn die tiefen Hypothekarkosten erhöhen die Einkommenssteuern der Eigentümer. Und die steigenden Immobilienwerte die Vermögenssteuern.
Post und Banken: Sie müssen den Sparern kaum mehr Zinsen bezahlen, können die Kontogebühren vervielfachen und von Kunden mit hohen Guthaben auf den Konten noch Geld verlangen. Die Negativzinsen, welche die Post und die Banken den Kunden belasten, sind zum Teil höher als die Beträge, die sie an die Nationalbank zahlen. Die Nationalbank verlangt 0,75 Prozent Negativzins – 0,25 Prozent weniger, als zum Beispiel die Postfinance von ihren Firmenkunden verlangt. Im vergangenen Jahr nahm die Post mit dem Zinsgeschäft stolze 807 Millionen Franken ein (saldo 15/2019).
Unternehmen: Auch sie verdienen mit Schulden Geld. Beispiel Siemens: Der Konzern gab jüngst Anleihen über 3,5 Milliarden Euro zu teils negativen Renditen aus. Das heisst: Anleger – darunter auch Pensionskassen – zahlen Siemens Geld, damit sie ihr Geld anlegen können.
Wohneigentümer: Die Hypozinsen sind so tief wie nie, das reduziert die Kosten der Eigentümer. Tiefe Zinsen erhöhen gleichzeitig die Preise der Liegenschaften. So viel Wert wie heute waren Wohnungen noch nie.
Die Verlierer
Die freiwilligen Sparer: Die privaten Haushalte hatten gemäss der Nationalbank im Jahr 2017 rund 825 Milliarden Franken an Bargeld auf Bankkonten. Dafür erhalten sie praktisch keinen Zins mehr. Aufgrund der Inflation verlieren sie sogar jedes Jahr Geld. 2017 betrug die Inflation 0,5 und im vergangenen Jahr 0,9 Prozent.
Die Zwangssparer: In der für die Angestellten in der Schweiz obligatorischen 2. Säule lagert heute ein Vermögen von gut 1100 Milliarden Franken. Die Pensionskassen dürfen dieses Geld nicht anlegen, wie sie wollen. Sie dürfen nicht mehr als 50 Prozent Aktien halten. Auf risikolosen Anlagen wie Obligationen verdienen sie aber wegen des Tiefzinsniveaus nichts, auf Bargeld müssen sie den Banken sogar Negativzinsen bezahlen. Letzteres kostet die Pensionskassen und indirekt die Versicherten gemäss der Bankiervereinigung pro Jahr rund 400 Millionen Franken.
Die Hauskäufer: Die Negativzinsen haben die Preise für Wohneigentum in die Höhe getrieben. Gemäss der Bankiervereinigung liegen die Preise inzwischen deutlich über jenen Ende der 80er-Jahre auf dem Höhepunkt der letzten grossen Immobilienblase in der Schweiz. Die teuren Preise verunmöglichen trotz tiefer Hypozinsen den meisten Schweizern einen Hauskauf.