Die Schlagzeilen klingen dramatisch: «Notenbank in dunkelroten Zahlen», «Grösster Verlust seit der Gründung», «Es gibt keinen Geldsegen mehr von der Nationalbank». Für viele Medien standen die Zeichen Ende Oktober auf Sturm, als die Schweizerische Nationalbank Geschäftszahlen zu den ersten neun Monaten 2022 publizierte.
Von Anfang Januar bis Ende September schrieb die Nationalbank einen Verlust von 142,4 Milliarden Franken. Für die meisten Berichterstatter steht daher bereits jetzt fest: Für nächstes Jahr erhalten weder die Bundeskasse noch die Kantone die üblichen Ausschüttungen. Gemäss einer Vereinbarung der Bank mit dem Finanzdepartement vom Januar 2021 betragen diese Zuwendungen maximal 6 Milliarden pro Jahr, nämlich 2 Milliarden an den Bund und 4 Milliarden an die Kantone (siehe Box).
Die Kantone sind überdies Aktionäre der Bank und profitieren von der Dividende. Letztes Jahr betrug diese insgesamt 1,5 Millionen. Knapp 60 Prozent davon gingen an die Kantone, rund 20 Prozent an die Kantonalbanken, der Rest an private Aktionäre. Insgesamt wies die Nationalbank im vergangenen Jahr einen Gewinn von 26 Milliarden Franken aus.
Im laufenden Jahr ist zwar ein grosser Verlust absehbar, die Höhe steht aber erst Ende Jahr fest. Er wird aber das Vermögen der Nationalbank nicht in Luft auflösen. Trotz des Verlustes in den ersten drei Quartalen wies die Bank Ende September 2022 ein Eigenkapital von fast 56 Milliarden Franken aus. Daran gemessen wäre eine Ausschüttung von maximal 6 Milliarden an Bund und Kantone verkraftbar.
Doch dafür ist nicht entscheidend, wie viel Eigenkapital die Nationalbank hat oder wie hoch die Ausschüttungsreserve ist, sondern ob zum Jahresende ein Bilanzgewinn in ihren Büchern steht. Falls nicht, gibt es keine Ausschüttungen. So will es das Nationalbankgesetz.
Das Problem: Das Jahresergebnis der Nationalbank unterliegt massiven Schwankungen. Sie häufte seit der Bankenkrise 2008 einen gigantischen Berg von Anlagen in anderen Währungen in der Höhe von 900 Milliarden Franken an, um den Franken zu schwächen und so die exportierenden Unternehmen und den Tourismus zu stützen. Ein grosser Teil ist in Aktien und Anleihen angelegt. Bereits kleine Kursschwankungen dieser Wertschriften bewirken darum bei der Nationalbank Gewinne oder Verluste in Milliardenhöhe.
Top- und Flop-Jahre liegen nahe beieinander
Die Nationalbank bilanzierte letztmals 2018 einen Verlust in der Jahresrechnung: minus 15 Milliarden Franken. Doch schon im folgenden Jahr erzielte sie wieder einen Gewinn von knapp 49 Milliarden.
Das zeigt: Top- und Flop-Jahre liegen bei der Nationalbank nahe beieinander. Kann sie bis Ende Jahr den Verlust um 50 Milliarden Franken reduzieren, resultiert dank der bestehenden Ausschüttungsreserve von 102,5 Milliarden Franken doch noch ein Bilanzgewinn – und damit Geld für Bund und Kantone. Das ist zwar eher unwahrscheinlich. Aber nicht ausgeschlossen.
Ein Drittel der Gelder an den Bund, zwei Drittel an die Kantone
Erzielt die Nationalbank einen Bilanzgewinn, muss sie daraus Dividenden zahlen sowie Ausschüttungen, die zu einem Drittel an den Bund und zu zwei Dritteln an die Kantone fliessen. Das schreibt das Nationalbankgesetz vor.
Die Höhe dieser Ausschüttungen dürfen laut Gesetz die Bank und das Finanzdepartement des Bundes bestimmen. Die Kantone werden «vorgängig informiert». Noch bis 2025 gilt: Beträgt der Bilanzgewinn der Nationalbank in einem Jahr 40 Milliarden Franken oder mehr, erhalten Bund und Kantone die maximale Ausschüttung von 6 Milliarden Franken. Bei einem Bilanzgewinn von unter 10 Milliarden Franken gibt es höchstens 2 Milliarden Franken.