Nächster Halt: Verkehrswende
Benedikt Weibel nimmt in seinem Buch das moderne Mobilitätsverhalten pointiert aufs Korn. Und er zeigt Wege auf, wie Verkehr und Klimaziele zu vereinbaren wären.
Inhalt
saldo 16/2021
12.10.2021
Remo Leupin
Es war die erste Einschränkung der Bewegungsfreiheit in der Geschichte des Verkehrs: In den frühen 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbannte die deutsche «Reichs-Strassenverkehrs- Ordnung» die Fussgänger von der Strasse aufs Trottoir. Noch in der preussischen «Wegeordnung» von 1905 waren Strassen für alle frei benutzbar – zum Gehen, Reiten, Viehtreiben und Fahren. Jahre später erhielten die Fussgänger ein bisschen Stras...
Es war die erste Einschränkung der Bewegungsfreiheit in der Geschichte des Verkehrs: In den frühen 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbannte die deutsche «Reichs-Strassenverkehrs- Ordnung» die Fussgänger von der Strasse aufs Trottoir. Noch in der preussischen «Wegeordnung» von 1905 waren Strassen für alle frei benutzbar – zum Gehen, Reiten, Viehtreiben und Fahren. Jahre später erhielten die Fussgänger ein bisschen Strasse zurück: 1948 erfanden die Briten den Zebrastreifen.
Anekdoten wie diese machen Benedikt Weibels neues Buch zum Lesegenuss. Doch «Wir Mobilitätsmenschen» ist mehr als eine unterhaltsame Geschichte der Mobilität. Der Autor analysiert das Verkehrsverhalten sorgfältig und stets mit einem Schuss Humor. Er macht Vorschläge, wie sich künftige Mobilitätsströme klimaschonend meistern lassen. Für Weibel ist klar: Verbrennungsmotoren sind ein Auslaufmodell. Doch er warnt auch vor blindem Optimismus: «Ohne Energiewende keine Verkehrswende.» Die «Dekarbonisierung» gelinge nur, wenn sehr schnell viel erneuerbare Energie fliesst.
Für den Ex-SBB-Chef (1993–2006) spielt die Schiene eine Schlüsselrolle: Kein anderes Verkehrsmittel könne auf kleiner Fläche so viele Personen transportieren. Doch er plädiert auch für die Förderung des Velo- und Fussverkehrs. Insbesondere in den Städten: Ohne rasche «Umwidmung der Verkehrsflächen» zugunsten des Langsamverkehrs drohe der Verkehrsinfarkt.
Dabei sind für ihn Lenkungsinstrumente kein Tabu. «Über die Hälfte aller Autowege sind kürzer als zehn Kilometer», schreibt Weibel. Eine Fehlentwicklung, die seines Erachtens durch «fahrleistungsabhängige Abgaben» korrigiert werden könnte. Ein engagiertes und inspirierendes Buch.
Benedikt Weibel, «Wir Mobilitätsmenschen. Wege und Irrwege zu einem nachhaltigen Verkehr», NZZ Libro/Schwabe Verlag, 2021, ca. Fr. 35.–