Medikamentenabfall sei «ein grosses Problem», sagt Bernhard Aufdereggen, Hausarzt aus Visp VS und Präsident der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz. Das gelte besonders für Patienten, die zu Hause betreut werden. Sie bekommen oft Grosspackungen verschrieben. Bei einem Spitalaufenthalt wechseln Spitalärzte zudem nicht selten auf ein neues Medikament. Wird ein Patient aus dem Spital entlassen oder stirbt er, werden die Restbestände der alten Medikamente entsorgt.
Wie viele Arzneimittel Patienten wegwerfen, ist nicht bekannt
Insgesamt landen so laut Bundesamt für Umwelt 3320 Tonnen Medikamente im Sondermüll – jedes Jahr. Die Tabletten oder Salben stammen aus Heimen, Spitälern, Arztpraxen, Drogerien und Apotheken, die ungenutzte Arzneimittel zurücknehmen. Wie viele Medikamente die privaten Haushalte wegwerfen, ist unbekannt. Viele entsorgte Medikamente wären laut Bundesamt für Gesundheit noch brauchbar.
Das zeigte eine Studie bereits im Jahr 1998. Ihr zufolge hatten 40 Prozent der in Apotheken oder Arztpraxen zurückgebrachten Medikamente das Ablaufdatum noch nicht überschritten. Rechnet man mit dem aktuellen Grosshandelspreis von durchschnittlich 800 Franken pro Kilo Medikamente, verbrennt die Schweiz pro Jahr brauchbare Arzneimittel im
Wert von einer Milliarde Franken. Diese Menge liesse sich durch eine Massnahme deutlich reduzieren: Jeder Patient sollte nur so viele Tabletten bekommen, wie er braucht. Die Spitex Chur macht vor, wie das geht. Sie versorgt 20 Patienten zu Hause mit individuell abgepackten Medikamenten. Eine Firma erhält dazu von der Apotheke alle Daten zu ärztlich verordneten Medikamenten eines Patienten.
Dazu füllt sie mit einer computergestützten Maschine Tabletten aus Grosspackungen in Plastikbeutel um. Zur Sicherheit beschriftet die Maschine alle Beutel mit dem Namen des Arzneimittels, des Patienten und dem Einnahmezeitpunkt. Die Beutel sind nach dem Einnahmezeitpunkt aneinandergereiht. Im Fachjargon nennt man dieses Vermeiden von Medikamentenabfall «Blistern».
Die Spezialfirma stellt nur sieben Tagesrationen pro Patient bereit. Annina Cadruvi ist Pflegeexpertin bei der Spitex Chur, sie sagt: «So muss niemand mehr überflüssige Grosspackungen entsorgen, wenn sich die Medikation ändert.» Das ist besonders wertvoll bei Medikamenten, die von Lieferengpässen betroffen sind. Weniger Fehler dank maschineller Ausgabe von Medikamenten Das Verfahren hat weitere Vorteile: So spart die Spitex Chur durchschnittlich 20 Minuten Arbeitszeit pro Patient in der Woche. Zudem erhöht sich die Sicherheit für die Betroffenen.
Eine 2017 an der Berner Fachhochschule verfasste Studie bestätigt das: Die Autorin machte 93 Stichproben zur Medikamentenausgabe an Pflegebedürftige im Berner Oberland. Bei den per Hand gerüsteten Arzneimittelportionen gab es 23 Fehler, bei maschinell «verblisterten» Arzneien keinen einzigen. Laut Frank Jehle vom Schweizer Blisterzentrum in Zürich bekommen in der Schweiz nur etwa 20'000 Patienten maschinell vorsortierte Medikamente.
Es könnten deutlich mehr sein. Denn die Mehrheit der rund 550'000 zu Hause und im Heim gepflegten Menschen nimmt regelmässig Medikamente. Das liegt auch an falschen finanziellen Anreizen. Bisher zahlen die Krankenkassen nur Apotheken Geld für das Verblistern. Und nur bei zu Hause versorgten Patienten. Altersund Pflegeheime müssen das maschinelle Abpacken von Medikamenten aus dem eigenen Budget berappen.