Die Basler Bevölkerung stimmte 2021 für einen kantonalen Mindestlohn: 21 Franken brutto pro Stunde. Frederik Loosli (Name geändert) verteilt in Basel im Nebenjob Werbung, Kataloge und Kundenzeitschriften im Auftrag der Firma Quickmail. Bisher erhielt er dafür 20 Franken pro Stunde.
Nach dem Basler Entscheid hätte Loosli ab Juli 2022 pro Stunde einen Franken mehr erhalten sollen. Doch Quickmail zahlte ihm weiterhin den alten Lohn. Als auch in der Augustabrechnung die Lohnerhöhung ausblieb, erkundigte sich Loosli nach dem fehlenden Geld. Die Firma teilte ihm mit: «Unsere Zustellerinnen und Zusteller in Basel sind bei Quickmail AG im Kanton St. Gallen angestellt. Daher fallen sie nicht unter das erwähnte Mindestlohn-Gesetz.»
In den Ausführungsbestimmungen des Basler Gesetzes steht allerdings: «Erfolgen die Arbeiten regelmässig in Basel-Stadt, gilt der baselstädtische Mindestlohn unabhängig vom Sitz der Firma.» Als sich saldo Anfang Oktober einschaltete, schrieb Quickmail, man habe die Lohnanpassung rückwirkend auf Juli vorgenommen.
Trotz gesetzlichem Mindestlohn verdienen in Basel viele Angestellte immer noch weniger als 21 Franken pro Stunde. Die Basler Regelung hat nämlich einen Haken: Sie schliesst alle Branchen mit allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen aus. Das heisst: Für Angestellte in Restaurants gilt weiterhin der tiefere Mindestlohn des Gesamtarbeitsvertrages von Fr. 19.10, für Reinigungsangestellte von Fr. 19.60 und für Coiffeure von 19 Franken pro Stunde.
Besser gestellt sind Angestellte in Neuenburg und Genf. Dort gelten die kantonalen Mindestlöhne für alle Angestellten. In Neuenburg verdienen deshalb Angestellte in jeder Branche mindestens 20 Franken, in Genf mindestens 23 Franken pro Stunde.
Auch die Arbeitgeberverbände in Neuenburg sperrten sich gegen die Einführung des vom Stimmvolk angenommenen Mindestlohnes. Sie gingen bis vor Bundesgericht, mit der Begründung, es handle sich um einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Erfolglos: In Neuenburg profitieren seit 2017 2700 Personen vom höheren Mindestlohn.
Der Obwaldner Ständerat Erich Ettlin (Mitte) reichte einen parlamentarischen Vorstoss ein. Er will, dass im ganzen Land die Gesamtarbeitsverträge mit ihren meist tieferen Mindestlöhnen über den kantonalen Mindestlohnregelungen stehen.
Der Ständerat hat Ettlins Vorstoss im vergangenen Juni bereits angenommen. Der Nationalrat wird voraussichtlich am 14. Dezember darüber entscheiden, ob vom Stimmvolk beschlossene Mindestlöhne weniger wert sind als Gesamtarbeitsverträge.
Initiative: Kein Stundenlohn unter 23 Franken
In den Städten Zürich und Winterthur stehen Abstimmungen über Mindestlöhne bevor. Das Initiativkomitee, das aus linken Parteien und Gewerkschaften besteht, fordert mindestens 23 Franken Stundenlohn für alle. In Zürich gibt es gemäss Initiativkomitee rund 17 000 Beschäftigte, die weniger verdienen. Die Abstimmungen finden voraussichtlich im kommenden Jahr statt.