Sein größtes Kapital steht friedlich auf der Weide hinter seinem Hof im Wauwilermoos im Kanton Luzern. 24 Kühe grasen dort in der Nachmittagssonne. Hanspeter Hunkeler muss sie abends bloß in den Stall treiben und melken. Mehr Arbeit bereiten sie ihm heute nicht.
Das war früher anders. Auch der 57-Jährige trimmte seine Kühe lange auf möglichst hohe Milchleistung. Vor 16 Jahren berechnete er bei einer Fortbildung aber erstmals seine Kosten – und erschrak. Heute erwirtschaftet er mit «wenig Arbeit und Kapital möglichst viel Gewinn» – und das erst noch umweltschonend.
Hunkeler hat seine Kühe auf den Zyklus der Natur eingestellt. Seit vier Jahren füttert er sie nur noch mit Gras – ohne Kraftfutter. Im Februar und März lässt er sie abkalben. Im März kommen sie auf die Weide, im Mai fressen sie am meisten, die Grasmenge und -qualität ist dann am höchsten. Im Winter bekommen sie nur Heu. Hunkeler sagt: «Die Fütterung passt zum Grasland Schweiz.»
Hunkeler hält Schweizer Fleckvieh, das gezielt für die Weidehaltung gezüchtet wurde. Tiere dieser Rasse sind robust und geben viel Milch bei relativ wenig Futter. Seine Rechnungen für Tierärzte und Medikamente fallen heute bedeutend tiefer aus als früher. Denn Hochleistungskühe reagieren viel schneller auf eine nicht optimale Fütterung und sie erkranken leichter. Viele müssen mit fünf Jahren bereits zum Schlachter. Hunkelers Herde ist im Durchschnitt acht Jahre alt. Er sagt: «Es ist mit unserer Strategie leicht, langlebige Kühe zu haben.»
Verzicht auf teure Infrastruktur
Als Hanspeter Hunkeler vor 20 Jahren einen neuen Stall brauchte, riet der Banker ihm, 200 000 Franken mehr Kredit aufzunehmen und einen komfortableren Stall zu bauen. Der Landwirt sagte Nein. Für Hunkeler liegt das Hauptproblem der Milchwirtschaft darin, dass sich Bauern durch eine teure Infrastruktur hoch verschulden.
Tatsächlich: Schweizer Bauern zahlen einen Viertel mehr für Maschinen, als ihre deutschen, französischen oder österreichischen Kollegen (saldo 17/2014). Sinkt der Milchpreis, können sie ihre Kredite nicht mehr bedienen.
Hunkelers Traktor ist 30 Jahre alt. Er gibt jährlich pro Hektar 600 Franken für Maschinen aus – 40 Prozent dessen, was Durchschnittsbetriebe aufwenden. Er investiere anders in seinen Betrieb: «Ich beobachte und überlege mir, wie sich die Abläufe mit geringem Aufwand optimieren lassen.»
Sein Konzept spart viel Arbeit: Vor 16 Jahren musste Hunkeler noch den Stall ausmisten, oft heuen, die Gülle wegfahren. 116 Arbeitsstunden wendete er pro Kuh im Jahr auf. Heute sind es 50 bis 55 Stunden. Die Kühe holen ihr Futter selbst auf der Weide, sie güllen selbst. Laut mehreren Untersuchungen kommen Milchbauern, die voll auf die Weidehaltung setzen, auf Stundenlöhne von 30 Franken und mehr – ein Spitzenwert.
Eine Hochleistungskuh liefert bis zu 10 000 Kilogramm Milch pro Jahr. Hunkelers Kühe bringen es im Durchschnitt nur auf 5800 Kilo. Er produziert heute weniger Milch pro Kuh als früher, verdient aber mehr. Denn er hat seine Kosten stärker gesenkt. Er muss kein Kraftfutter kaufen, weniger für Maschinen und weniger Arbeitszeit aufwenden. Eine Käserei bezahlt ihm zurzeit 60 Rappen pro Kilogramm Milch. Dazu erhält er für den Milchbetrieb 35 000 Franken Direktzahlungen im Jahr.
Kollegen belächeln Hunkeler als «Gotthelf-Bauer». Kein Wunder, Bauernverbände und Agrarpresse reden den Bauern ein, dass sie ihren Betrieb aufrüsten müssten, um mehr zu produzieren und mehr zu verdienen. Auch Bund und Kantone koppeln viele Subventionen an die Milchmenge. Doch je mehr Milch die Bauern abliefern, desto stärker fällt der Preis – ein Teufelskreis. Der Verband Schweizer Milchproduzenten klagt, ihre Einkommen seien im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent gefallen. Sie fordern «faire» Preise und staatliche Hilfe. Von der Milchschwemme profitieren vor allem Anbieter von Kraftfutter und Landmaschinen. So erzielte der Landwirtschaftskonzern Fenaco letztes Jahr mit 96 Millionen Franken seinen bisher größten Gewinn.
Felix Schläpfer vom Verein «Vision Landwirtschaft» glaubt, Hunkelers Ansatz könnte Kollegen helfen. Er rechnet, dass ein Bauer mit 22 Kühen pro Jahr 24 000 Franken oder 15 Prozent mehr verdient, wenn er auf die saisonale Weidewirtschaft setzt, statt auf Hochleistungskühe und Stallfütterung. Jeder vierte Milchbauer komme dafür in Frage.
Milch von Weidekühen ist gesünder
Der Ansatz hat weitere Vorteile: Die Schweiz müsste weniger Kraftfutter importieren, die Bauern würden weniger Milch und klimaschädliche Stickstoffe produzieren. Sie könnten auch schneller auf den Markt reagieren. Und die Konsumenten bekämen gesündere Milch. Studien zeigen, dass Weidemilch mehr wertvolle Omega-3-Fettsäuren enthält als Milch von Kühen, die viel Kraftfutter fressen (saldo 19/2015).
Der Verband Schweizer Milchproduzenten bezeichnet die Kalkulation als «gewagt» und warnt: Wer umsteige, müsse seine Weidefläche erweitern. Das könne nicht jeder. Zudem gebe es saisonale Preisschwankungen, wenn mehr Bauern umsteigen. Denn Weidekühe liefern im Sommer mehr Milch als im Winter. Andererseits räumt der Verband ein, dass diese Betriebe wirtschaftlich besser fahren als jene mit Stallhaltung.
Doch viele Bauern rechnen nicht genau. Das müssen sie auch nicht, weil üppige Subventionen ihre Betriebe am Leben halten (saldo 9/2016). Folge: Erst etwa 120 Bauern praktizieren in der Schweiz die Weidehaltung.