Migros und Coop: Gut verpackte Kundentäuschung
Zwei Drittel der günstigen Prix-Garantie-Produkte von Coop sind mit teureren Artikeln im gleichen Laden identisch. Das gab ein Sprecher des Grossverteilers gegenüber saldo zu.
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saldo 13/2005
31.08.2005
Markus Kick, Marc Meschenmoser, Franco Tonnozzi
Seit Anfang Jahr führt nun auch Coop rund 150 Produkte unter seinem billigeren Prix-Garantie-Label. Der Branchenzweite folgte damit der Migros, die seit 1998 günstige M-Budget-Produkte im Regal hat und zurzeit rund 300 dieser Artikel anbietet. Die Preisunterschiede zwischen den normalen Waren und denen der Billiglinien sind bei beiden Grossverteilern happig. Drei Beispiele:
- Bei Coop kosten Ravioli alla Napoletana umgerechnet auf 100 Gramm 34 Rappen. Die gleiche Menge gibt es b...
Seit Anfang Jahr führt nun auch Coop rund 150 Produkte unter seinem billigeren Prix-Garantie-Label. Der Branchenzweite folgte damit der Migros, die seit 1998 günstige M-Budget-Produkte im Regal hat und zurzeit rund 300 dieser Artikel anbietet. Die Preisunterschiede zwischen den normalen Waren und denen der Billiglinien sind bei beiden Grossverteilern happig. Drei Beispiele:
- Bei Coop kosten Ravioli alla Napoletana umgerechnet auf 100 Gramm 34 Rappen. Die gleiche Menge gibt es beim Prix-Garantie-Produkt bereits für 28 Rappen. Ein Preisunterschied von stolzen 24 Prozent.
- Migros verkauft Paprika-Chips als Hausmarke zu Fr. 1.79. Das Knabberzeug in einer M-Budget-Verpackung kostet Fr. 1.38. Differenz: 30 Prozent.
- Migros führt transparente Allzweckbeutel aus Polyethylen in zwei verschiedenen Verpackungen. Gleiche Anzahl, gleiche Grösse, gleiche Griffigkeit, gleiches Material. Nur: Das Standardprodukt kostet 50 Prozent mehr.
Laborresultate: «Eine erstaunliche Gleichheit»
saldo wollte wissen, ob die günstigeren Produkte der Billig-Labels qualitativ mit den teureren Waren mithalten können, und kaufte bei Coop und Migros insgesamt 19 Produkte - jeweils eines aus der Billiglinie und eines zum «Normalpreis» (siehe Kasten). Ein Labor analysierte Chips, Ravioli und Allzweckbeutel. Sieben sensorisch geschulte Fachleute verglichen zehn Lebensmittel in einer Degustation (siehe nächste Seiten).
Die Laborbefunde sind deutlich: Es gibt keinen nennenswerten Unterschied zwischen den Allzweckbeuteln aus Kunststoff mit dem M-Budget-Logo und denen in der herkömmlichen Aufmachung. Auch die beiden Ravioli- und Chips-Sorten erwiesen sich als nahezu identisch. Die Tester fanden zwar geringfügige Abweichungen, doch bei Lebensmittelproben liegen diese in der Toleranzgrenze. «Eine erstaunliche Gleichheit», kommentierte die Laborleiterin die Resultate des saldo-Tests.
Die Grossverteiler bieten also das gleiche oder fast gleiche Produkt in verschiedenen Packungen zu einem unterschiedlichen Preis an. Verkaufen sie mit ihrer Preispolitik die Konsumenten für dumm?
saldo konfrontierte Coop und Migros mit dieser Frage und den Ergebnissen der Recherche. Felix Wehrle, Coop-Leiter Qualitätssicherung, gibt gegenüber saldo offen zu, dass «zwei Drittel der 150 Prix-Garantie-Produkte identisch mit denjenigen der Coop-Eigenmarken sind». Kein Wunder, bei der Zusammenstellung seines Billigsortiments machte es sich der Einzelhandelskonzern schliesslich nicht allzu schwer: «Coop hat einfach die meistverkauften Produkte in einer grösseren Verpackung genommen und Prix Garantie draufgeschrieben. Das ist alles», gesteht Wehrle.
Migros-Sprecher: «Es gibt keine M-Budget-Kuh»
Den Vorwurf der Täuschung bestreitet die Migros vehement: «M-Budget-Artikel sind nie identisch mit unseren Normalprodukten», sagt Mediensprecher Urs Peter Naef. Es gäbe bei allen Produkten grössere oder kleinere Abweichungen in Zusammensetzung und Rezeptur. Die einzige Ausnahme, die der Migros-Mann einräumt, ist die Milch. «Es gibt halt keine M-Budget-Kuh», scherzt Naef.
Lasagne von der Migros: Nur 2 Prozent mehr Rindfleisch
Dennoch: Auch bei vielen zu unterschiedlichen Preisen verkauften Migros-Produkten dürften die Qualitätsunterschiede nur sehr gering sein. Beispiel: Lasagne. Der M-Budget-Artikel kostet in der Kilo-Schale Fr. 6.20. Für das Normalprodukt bezahlt man hingegen Fr. 8.40 - satte 35 Prozent mehr. «Der höhere Preis ergibt sich vor allem durch den höheren Anteil an Rindfleisch im Normalprodukt», sagt Aurelio Wettstein, Sprecher der Bischofszell Nahrungsmittel AG, die beide Lasagne-Arten herstellt. Laut Etikett macht dieser «höhere Anteil» gerade mal 2 Prozent aus. Wer die deutlich billigere Lasagne wählt, braucht also kein markantes Qualitätsgefälle zu fürchten.
Das stellt auch Migros-Sprecher Urs Peter Naef nicht in Abrede. Den Preisunterschied rechtfertigt er vor allem mit den geringeren Marketing- und Werbekosten für M-Budget-Produkte. Zudem seien die Artikel der Billiglinie immer nur in einer Packungsgrösse erhältlich. Sprich: Sie machen dem Grossverteiler weniger Arbeit.
Was Coop und Migros recht ist, ist den deutschen Discountern Lidl und Aldi schon lange billig. Seit Jahren verkaufen sie Markenartikel unter neuem Namen teils massiv günstiger. Beispielsweise gibt es bei Aldi die Produkte von Deutschlands grösster Privatmolkerei, Müller Milch, einfach unter dem Namen Milsani. Glace von Nestlé-Schöller wiederum heisst bei Aldi Grandessa-Eis.
Verpackung: Der Produktecode verrät Herkunft
Die Markenhersteller haben kein Interesse, dass die Konsumenten von diesem Doppelspiel erfahren. Sie hüten sich davor, den korrekten Firmennamen auf ihre Produkte zu schreiben. Stattdessen drucken sie im Einklang mit den EU-Normen lieber einen Produktecode auf die Verpackung.
Dies macht sich der Kriminalbeamte Volker Schwörer aus Stuttgart zunutze. In seiner Freizeit fahndet er in Supermärkten nach den wahren Herstellern der Billigmarken. «Ich habe bereits mindestens 50 Markenartikel gefunden, von denen es eine Billigvariante unter anderem Namen gibt», rühmt sich Schwörer. «Damit sichern sich die Hersteller einen grösseren Marktanteil und können die Produktionsmenge steigern, ohne ihr Image zu beschädigen.»
Nur: Die Hochpreisproduzenten, die plötzlich auch günstig liefern können, haben die Rechnung ohne den Kriminalbeamten gemacht. Eine ausführliche Liste, welcher Hersteller sich in Deutschland hinter welchem Namen versteckt, ist im Internet unter www.lebens mittelmarken.de einsehbar.
Mit ihren Prix-Garantie-Produkten ging Coop noch einen Schritt weiter als der nicht unzimperliche deutsche Handel: Plötzlich gibt es die gleichen Produkte zu unterschiedlichen Preisen sogar im selben Laden, nämlich in den 900 Coop-Filialen. Detailhandelsexperte Gotthard F. Wangler hätte das nicht für möglich gehalten: «Wenn es wirklich stimmt, dass Coop das identische Produkt zu unterschiedlichen Preisen verkauft, dann muss der Grossverteiler jetzt einen beträchtlichen Imageschaden befürchten.»
Das Vorgehen von Coop erklärt sich Wangler mit der Zeitnot: Erst seit kurzem ist klar, dass die deutschen Discounter Lidl und Aldi in die Schweiz kommen. Da musste bei Coop schleunigst eine Billiglinie her. Mit der versucht der Grossverteiler nun auch die preisbewussten Schweizer Kunden an sich zu binden. Trotzdem handelt es sich hier nach der Einschätzung des Luzerner Unternehmensberaters um einen ekla-tanten Fall von Kundentäuschung.
Der Kunde muss das nicht weiterhin tatenlos hinnehmen. Er hat tagtäglich die Wahl zwischen den billigen und den bis zu 50 Prozent teureren Waren. Die Büchsen oder Plastikverpackungen mögen anders aussehen, drin steckt sehr oft einfach das Gleiche.