Anfang November kündigte die Migros-Bank rund 37 000 Kunden eine Gutschrift an, die im kommenden Januar ausbezahlt werden soll. Angeschrieben wurden bestehende Kunden, die ab 2014 Anteile von Migros-Bank-Fonds gekauft hatten. «Irrtümalicherweise hält der Depotvertrag fest, dass wir auf Migros-Bank-Fonds keine Retrozessionen einnehmen», heisst es im Schreiben. Die Bank habe nun festgestellt, dass das nicht stimme. Die Retrozessionen würden rückerstattet.
Retrozessionen – auch «Kickbacks» genannt – sind Zahlungen, welche die Banken von den Fondsgesellschaften erhalten. Sie sollen die Kundenbetreuer der Banken dazu motivieren, die entsprechenden Finanzprodukte zu empfehlen.
Die Migros-Bank kassierte gemäss eigenen Angaben rund 60 Millionen Franken Retrozessionen. Das Geld floss für 30 hauseigene Fonds, die von der UBS Fund Management (Switzerland) verwaltet werden. Die Migros-Bank gab zum Beispiel beim Strategiefonds «Migros Bank (CH) Fonds 85 B» die Verwaltungsgebühr in der Fondsdokumentation mit 1,11 Prozent pro Jahr an. Davon flossen gemäss dem Schreiben der Migros-Bank jedoch 40 Prozent in Form von Retrozessionen von der UBS an die Migros-Bank zurück. Die Kunden erfuhren nichts von diesen Kickbacks.
Kunden haben auch für die Jahre vor 2014 Anspruch auf das Geld
Das Bundesgericht entschied mehrfach, dass solche Retrozessionen den Kunden gehören («K-Geld» 4/2020). Ausgenommen sind einzig Rückvergütungen, auf welche die Kunden gültig verzichtet haben. Ein gültiger Verzicht setzt voraus, dass die Bank im Vertrag genügend detailliert auf die Kickbacks und deren Höhe hinweist. Eine solche Aufklärung erfolgte nicht. Im Gegenteil: Die Migros-Bank versprach retrozessionsfreie Fonds. Im Brief an die Kunden schreibt sie nun, die Rückerstattung erfolge «aus Kulanz». Das ist Augenwischerei: Die Bank ist rechtlich zur Herausgabe der Retrozessionen verpflichtet.
Der Anspruch der Kunden auf Auszahlung von Retrozessionen verjährt laut Bundesgericht nach zehn Jahren. Die Frist beginnt am Tag, an dem die Vergütung bei der Bank einging. Die Migros-Bank will jedoch bloss die seit 2014 kassierten Kickbacks erstatten. Pressesprecher Urs Aeberli begründet das damit, dass die Fonds erst ab diesem Zeitpunkt irrtümlicherweise als retrozessionsfrei bezeichnet wurden. Das spielt aber keine Rolle: Kunden können auch vor 2014 geflossene Retrozessionen herausverlangen, soweit sie noch nicht verjährt sind. Denn der damals verwendete Depotvertrag enthielt keine Vereinbarung, wonach die Kunden auf die Rückzahlung der Kickbacks verzichten. Alle Kunden, die in den letzten zehn Jahren Anteile eines Migros-Bank-Fonds gekauft hatten, können also heute einen Anspruch auf Rückzahlung der Retrozessionen geltend machen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie heute noch im betreffenden Fonds investiert sind oder die Anteile inzwischen verkauft haben.
Migros-Bank versucht, Vorsorgefonds auszuklammern
Ein Anspruch auf Rückzahlung besteht auch bei Vorsorgefonds in der Säule 3a. Hier haben die Sparer einen Vertrag mit der Vorsorgestiftung der Migros-Bank, welche die Fondsanteile für die Kunden kauft. Laut ihrem Reglement tätigt die Stiftung solche Geschäfte «auf Rechnung des Vorsorgenehmers und legt diese bei der Migros-Bank in ein auf ihn lautendes Vorsorgedepot». Entscheidend ist auch hier, ob die Migros-Vorsorgestiftung die Kunden über die Höhe der Kickbacks informierte und einen Verzicht auf Rückzahlung verlangte. Fehlt eine Verzichtserklärung, gehören die Kickbacks den Kunden. Die Stiftung muss die Retrozessionen von der Bank einfordern und ihren Kunden gutschreiben. Banksprecher Aeberli sagt hingegen, das Bundesgerichtsurteil beziehe sich nicht auf «Kundenbeziehungen im Vorsorgebereich».
Nebst den Retrozessionen schuldet die Migros-Bank laut Gesetz zudem 5 Prozent Verzugszins. Die Juristen sind sich weitgehend einig, dass der Zins vom Zeitpunkt an zu berechnen ist, an dem die Bank die Zahlung von der Fondsleitung erhalten hatte. Auch das sieht die Bank anders. Die Rückzahlung sei freiwillig, deshalb zahle die Bank keine Verzugszinsen.
Wer heute nicht mehr Kunde ist, erhält die Rückzahlung nicht automatisch. Solche Fondskunden müssen selbst aktiv werden und die Retrozessionen via das Internetportal der Migros-Bank einfordern (siehe Kasten).
Retrozessionen einfordern
Aktuelle und ehemalige Kunden mit Migros-Bank-Fonds können schriftlich die Offenlegung und Herausgabe sämtlicher Retrozessionen der vergangenen zehn Jahre verlangen. Rückforderungen sind auch via Internetseite der Migros-Bank möglich: Migrosbank.ch -> Retrozessionen -> Online- Antragsformular.