Der Vermieter ist mit seinem Anwalt vor dem Bezirksgericht erschienen. Auch die 82 Jahre alte Mieterin wird von ihrer Anwältin begleitet. Vor dem Einzelrichter kommt die Anwältin gleich zur Sache: «Ich beantrage die Aufhebung der Kündigung wegen Missbräuchlichkeit.» Falls das Gericht dies nicht so sehe, sei das Mietverhältnis vier Jahre zu erstrecken.
Die Anwältin räumt ein, dass es die Mieterin versäumt habe, die Kündigung anzufechten, und auf dem Formular des Mietgerichts bloss die Erstreckung des Mietverhältnisses verlangt habe. Das sei aber ein Versehen und auf das hohe Alter der Frau zurückzuführen. Der Vermieter begründete seine Kündigung damit, seine 18-jährige Tochter brauche die Wohnung. Die Anwältin der Mieterin hält das für vorgeschoben: «Das ist eine Rachekündigung.» Denn ihre Klientin habe letztes Jahr eine Mietzinssenkung verlangt – zum ersten Mal seit 1957. Seit dann wohnt sie nämlich schon dort. Nur vier Wochen nach dem Senkungsbegehren erhielt sie die Kündigung. «Eine Kündigung nach 57 Jahren ist nicht gerecht.»
Vermieter findet, nur diese Wohnung sei für seine Tochter geeignet
In der Deutschschweiz habe noch kein Gericht je eine Fristerstreckung von vier Jahren gewährt, fährt die Anwältin fort. In der Romandie sei das aber «in ausserordentlichen Härtefällen» schon vorgekommen. Wegen des hohen Alters der Frau liege eine solche ausserordentliche Härte vor. Auch die Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieterin falle klar zugunsten ihrer Klientin aus. Es gebe im Haus noch andere Wohnungen, die für die Tochter des Eigentümers geeignet seien.
«Das stimmt nicht», wirft der Anwalt des Vermieters ein. Der Eigenbedarf sei offensichtlich. Die Tochter sei mit 16 Jahren schwanger geworden. Sie und ihr Partner kämen beide nur auf tiefe Einkommen. Und aus der bisherigen Wohnung habe das junge Paar ausziehen müssen, weil das Haus abgebrochen worden sei. Sein Klient habe sich lange überlegt, welche Wohnung für die Tochter ideal wäre. Er sei zum Schluss gekommen, dass es jene der Klägerin ist.
Das Alter der Mieterin begründe keinen Härtefall. Sie sei nicht ortsgebunden und habe ihre Bemühungen, eine neue Wohnung zu suchen, nicht belegt. Das sei aber Voraussetzung für eine Fristerstreckung.
Mieterin verpasste es, die Gültigkeit der Kündigung anzufechten
Dazu kommt laut dem Anwalt des Vermieters, dass eine Erstreckung um vier Jahre massiv übertrieben sei. «Es liegt kein Ausnahmefall vor.» Sein Klient wäre bereit, eine Erstreckung um zwei Jahre zu gewähren. Bereits an der Schlichtungsverhandlung sei der Vermieter mit dem Urteilsvorschlag, der eine Erstreckung um zweieinhalb Jahre vorgesehen habe, einverstanden gewesen. Die Gegenpartei habe diesen aber nicht akzeptiert.
Der Anwalt des Vermieters fordert, die Klage sei abzuweisen und die Miete «maximal zwei Jahre» zu erstrecken. Die Klägerin habe es versäumt, die Kündigung innert 30 Tagen anzufechten. Die Anfechtungsfrist sei deshalb verwirkt. «Verwirkt ist nun mal verwirkt!» Und der Vorwurf der Rachekündigung sei unhaltbar.
Knapp drei Jahre Mieterstreckung als Kompromiss
Nach den Plädoyers unterbreitet der Einzelrichter den Parteien einen Vergleichsvorschlag. Es sei wohl kaum zu beweisen, dass die Mieterin die Kündigung «aus Versehen» nicht angefochten habe. Er schlage deshalb vor, die Diskussion auf die Dauer der Erstreckung zu beschränken. Damit sind beide Parteien einverstanden.
Der Richter schlägt eine einmalige Erstreckung um drei Jahre vor. Nach einem längeren Hin und Her lenkt die Mieterin auf eine Erstreckung von zwei Jahren und 10 Monaten ein. Die 1600 Franken Gerichtskosten teilen die Parteien hälftig unter sich auf. Für die Anwaltskosten kommen beide selbst auf.
Anfechtung: Keine Zeit verlieren, Beratung suchen
Wer vom Vermieter die Kündigung erhalten hat, darf keine Zeit verlieren. Ab Empfang läuft die Frist von 30 Tagen, während der eine Anfechtung bei der Schlichtungsbehörde möglich ist. Am besten lässt man sich rasch und kompetent beraten – bei einer Schlichtungsbehörde oder beim Mieterinnen- und Mieterverband. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, falls es in den letzten Jahren Meinungsverschiedenheiten mit dem Vermieter gab. Denn in solchen Fällen besteht der Verdacht einer missbräuchlichen Kündigung.
Bei der Anfechtung wird vom Gericht automatisch auch geprüft, ob die Kündigung einen Härtefall für den Mieter darstellt und das Mietverhältnis erstreckt werden soll. Umgekehrt wird bei einem reinen Erstreckungsbegehren die Gültigkeit der Kündigung nicht geprüft. Im Zweifelsfall lohnt sich deshalb eine Anfechtung. Es ist später möglich, die Anfechtung zurückzuziehen.