Die Hygieneverordnung schreibt vor, wie viele Keime Brühwürste wie Cervelats und Bratwürste sowie Kochpökelware wie Roastbeef, Schinken und Fleischkäse pro Gramm maximal aufweisen dürfen. Je mehr Keime und Bakterien Wurstwaren enthalten, desto verdorbener sind sie.
Bis Ende des letzten Jahres durften in der Schweiz Bratwürste und Co. sowie Kochpökelwaren wie Schinken bis zu einer Million Keime pro Gramm aufweisen. Dieser Wert galt für alle Produkte, die von Metzgereien produziert und von diesen auch selbst verkauft wurden.
Ab diesem Jahr hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen den Grenzwert deutlich erhöht: auf das Fünf- bis Zehnfache. Neu dürfen Brühwürste und Kochpökelwaren 5 Millionen Keime pro Gramm aufweisen. Sind die Produkte geschnitten oder portioniert, sind gar 10 Millionen Keime pro Gramm erlaubt.
Empfehlungen der Branche werden zum Gesetz erklärt
Pikant: Der Schweizer Fleisch-Fachverband hat im letzten Jahr eigene «Qualitätsleitsätze für Fleisch und Fleischprodukte» veröffentlicht. Darin gibt der Verband auch Richtwerte für Brühwürste und Kochpökelwaren vor – exakt dieselben wie die neuen Toleranzwerte in der Hygieneverordnung. Sprich: Der Bund hat die Empfehlungen der Branche zum Gesetz erklärt.
Der Fachverband freut sich in der hauseigenen Metzgerzeitung: «Während in der alten Hygieneverordnung ein genereller Toleranzwert von 1 Million Keimen pro Gramm erlaubt war, ist es dem Schweizer Fleisch-Fachverband gelungen, seine in den Qualitätsleitsätzen vorgegebenen Werte in die neu geltende Hygieneverordnung zu übernehmen.»
Da neu viel mehr Keime erlaubt sind, dürfen die Metzgereien ihre Produkte auch länger liegen lassen und verkaufen. So schreibt die Metzgerzeitung weiter: «Die Erhöhung der Gesamtkeimzahl ist durchwegs zu begrüssen. Sie führt zu
einer längeren Mindesthaltbarkeitsdauer der Produkte.»
Dabei steht es mit der Hygiene beim Fleisch schon länger nicht zum besten: Im Jahresbericht 2013 kritisiert das Kantonale Laboratorium Bern die mikrobiologische Qualität von Brüh- und Kochwurstwaren aus gewerblichen Metzgereien. Das Labor musste fast jede dritte Probe beanstanden, weil diese zu stark verkeimt war. Damals galten notabene noch die tieferen Toleranzwerte.
In Deutschland gelten viele tiefere Richtwerte
Das Berner Kantonslabor spricht in seinem Bericht von «grossen Problemen», vor allem bei Bratwürsten und Sulzartikeln. Es ortete die Ursache der erhöhten Keimzahlen «in der Verarbeitung von Abschnitten und Resten von Fleisch- und Wurstwaren» sowie «in einer nicht in jedem Fall ausreichenden Kerntemperatur beim Brühen.»
Auch Deutschland kennt Richtwerte für Brühwürste und Kochpökelware. Sie liegen deutlich unter den schweizerischen Toleranzwerten. Für ganze Stücke empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie 50 000 Keime pro Gramm. Das ist ein Hundertstel des vom Schweizer Fleisch-Fachverband empfohlenen Toleranzwertes. Und für geschnittene Fleischware gelten 5 Millionen Keime pro Gramm – halb so viel wie in der Schweiz.
Sabina Helfer, Sprecherin des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit, rechtfertigt die Erhöhung der Toleranzwerte damit, dass sie «auf langjährigen Erfahrungswerten der Schweizer Fleischbranche» beruhen würden.
Der Schweizer Fleisch-Fachverband hat die Fragen von saldo nicht beantwortet.