Melatonin: Kritik am «Wundermittel»
Melatonin ist in der EU als Schlafmittel zugelassen. Auch in der Schweiz liegt den Behörden ein Gesuch vor. Doch Fachleute raten von der Einnahme ab.
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saldo 13/2008
25.08.2008
Letzte Aktualisierung:
26.08.2008
Andreas Grote
Melatonin soll wahre Wunder vollbringen – das suggerieren zahlreiche Anbieter im Internet. Viele Schweizer bestellen die Pillen deshalb direkt in den USA. Seit April ist das Schlafmittel unter dem Namen Circadin in der EU als Arzneimittel zugelassen. Die Firma Nycomed hat die Zulassung auch für die Schweiz beantragt.
Doch jetzt wird Kritik laut. Experten der deutschen unabhängigen Fachzeitschrift «Arznei-Telegramm» kommen zu einem vernichtenden Sc...
Melatonin soll wahre Wunder vollbringen – das suggerieren zahlreiche Anbieter im Internet. Viele Schweizer bestellen die Pillen deshalb direkt in den USA. Seit April ist das Schlafmittel unter dem Namen Circadin in der EU als Arzneimittel zugelassen. Die Firma Nycomed hat die Zulassung auch für die Schweiz beantragt.
Doch jetzt wird Kritik laut. Experten der deutschen unabhängigen Fachzeitschrift «Arznei-Telegramm» kommen zu einem vernichtenden Schluss: «Die Basis der Zulassung ist für uns nicht nachvollziehbar, wir raten von der Einnahme ab.»
Studienergebnisse überzeugen nicht
Denn ob Melatonin den Schlaf verbessert, ist unklar. Aussagekräftige Untersuchungen fehlen. Selbst die für die Zulassung eingereichten Studien können nicht überzeugen: Nicht einmal jeder dritten Testperson verhalf Melatonin zu besserem Schlaf.
Kommt hinzu: Das Medikament wurde nur an Personen über 55 Jahren getestet. In der EU ist es deshalb auch nur für diese Altersgruppe zugelassen. Jüngere Menschen sprechen offenbar weniger gut auf Melatonin als Schlafmittel an.
Zudem ist unsicher, wie hoch die geeignete Dosis sein muss. Melatonin gilt zwar als sicher, die Nebenwirkungen als gering. Doch noch fehlen Langzeitstudien, die das auch bestätigen würden.
Melatonin ist beteiligt an der Regulation des Schlaf- und-Wach-Rhythmus. Die Zirbeldrüse im Gehirn bildet es mit einsetzender Dunkelheit. Am Tag stellt das Gehirn die Produktion wieder ein.
Bei älteren Menschen nimmt die Produktion von Melatonin ab, was zu Schlafproblemen führen kann. Forscher und auch die Herstellerfirmen hoffen, dass Melatonin ihnen helfen könnte.
Esther Werth, Schlafforscherin an der Neurologischen Universitätsklinik Zürich: «Melatonin kann auf die innere Uhr wirken und soll helfen, wieder in den Schlafrhythmus zu finden.» Doch dieser Rhythmus ist komplexer als angenommen. So haben Studien gezeigt, dass Melatonin die durch Schichtarbeit oder Jetlag verschobene innere Uhr nur begrenzt korrigieren kann.
Schlafstörungen gezielt behandeln
Die Firma Nycomed will die Kritiken nicht kommentieren und verweist auf die Zulassungsbehörden. Sie schreibt saldo: «Circadin wurde auf Grund der vorliegenden Daten zugelassen.» Und die Wirksamkeit sei ja ein «Schlüsselkriterium», damit ein Medikament überhaupt zugelassen werde.
Die gestörte innere Uhr ist nur ein Grund für schlechten Schlaf. Auch Depressionen, Asthma, Herzschwäche oder Alkohol und Kaffee können den Schlaf stören. In diesen Fällen helfen Melatonin oder andere Schlafmittel wenig, sind sich die Fachleute einig.