Früher rannte Heino Petersen im Zehn-Minuten-Takt aufs WC. «Der Drang zum Wasserlösen kam innert Sekunden», sagt der 77-Jährige aus Wabern bei Bern. «Wenn ich dann auf dem Klo sass, ging gar nichts. Meine Blase war voll, aber ich konnte sie nicht leeren.»
Prostata kann von 20 auf 200 Gramm anwachsen
Solche Probleme sind bei älteren Männern häufig. Laut der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik» klappt bei fast jedem dritten Mann über 70 das Wasserlösen nicht mehr wie früher. Der Harnstrahl wird schwächer, oft träufelt nach dem WC-Besuch Urin in die Unterhose.
Ursache ist meist eine vergrösserte Prostata. Diese Drüse, die einen Teil des Spermas produziert, befindet sich am Ausgang der Blase; die Harnröhre führt durch sie hindurch. Normalerweise ist die Prostata so gross wie eine Kastanie und wiegt rund 20 Gramm. Im Alter beginnt sie zu wachsen – in Einzelfällen kann sie bis zu 200 Gramm schwer werden. Dieses Wachstum ist gutartig, kann aber den Ausgang der Blase verengen.
Die gute Nachricht: Männer mit Beschwerden müssen nicht unbedingt Medikamente schlucken. «Pharma-Kritik» kommt in einer aktuellen Übersicht zum Schluss: «Bei Symptomen, die wenig stören, genügt es in der Regel, abzuwarten und zu beobachten.»
Die Betroffenen können viel dazu beitragen, dass ihre Beschwerden zurückgehen. Um zu verhindern, dass sich in der Nacht die Blase meldet, sollten sie am Abend nicht mehr viel trinken – dafür aber am Vormittag mehr Flüssigkeit aufnehmen. Zudem: Kaffee und Alkohol wirken harntreibend und können die Schleimhaut der Blase reizen.
Ausmassieren nach dem Wasserlösen als einfaches Mittel
Gegen das lästige Nachträufeln hilft das sogenannte Ausmassieren der Harnröhre nach dem Wasserlassen. Dazu drückt man mit den Fingern auf den Damm, also die Stelle zwischen Hodensack und After. Mit einer leichten Bewegung nach vorn und oben presst man den verbleibenden Urin aus der Harnröhre. Vielen Betroffenen helfen pflanzliche Mittel, etwa Sägepalme- oder Kürbiskapseln. Zwar wirkten diese in Studien nicht besser als Scheinmedikamente. Laut dem Zürcher Urologen Michael Kurz sind sie aber «bei leichten Beschwerden einen Versuch wert, zumal sie nur wenige Nebenwirkungen haben».
Medikamente erst bei stärkeren Beschwerden ratsam
Erst wenn die Beschwerden stärker werden, sollte man einen Arzt aufsuchen. Er kann Medikamente wie Proscar verschreiben (siehe Tabelle). Sehr oft setzen Ärzte sogenannte Alpha-Blocker ein, etwa Pradif oder Xatral. Sie entspannen die Muskeln der Prostata. Studien zeigen, dass bei vielen Patienten die Beschwerden zurückgehen. Für das Fachblatt «Pharma-Kritik» ist klar: «Bei stärkeren Beschwerden sind diese Medikamente die Therapie der ersten Wahl.»
Nachteil: Die Pillen lösen häufig Schwindel aus. Pradif und seine Generika, zum Beispiel Tamsulosin-Mepha, können sich auch auf die Sexualität auswirken: Es kann zu einem Orgasmus ohne Samenerguss kommen – das Sperma gelangt in die Harnblase statt nach aussen. Das ist zwar ungefährlich, macht einen Mann aber vorübergehend zeugungsunfähig.
Auch Medikamente wie Detrusitol oder Spasmo-Urgenin entspannen die Muskeln. Laut «Pharma-Kritik» kommen sie für Patienten in Frage, die an häufigem Harndrang leiden. Als Einzeltherapie ist ihre Wirkung «schlecht belegt», stellt das Fachblatt fest. Wenn schon, dann sollte man solche Mittel zusammen mit Alpha-Blockern einnehmen.
Oft verschreiben Ärzte auch Mittel wie Proscar oder Avodart. Sie wirken nicht auf die Muskeln, sondern greifen in den Testosteron-Haushalt ein. Das lässt mit der Zeit die Prostata schrumpfen – laut Studien im Schnitt um gut einen Fünftel.
Proscar hat Heino Petersen gut geholfen. Tagsüber vergehen nun oft bis zu sechs Stunden, bis er wieder aufs WC muss. Wie es ihm in der Nacht gehe, hänge sehr davon ab, ob er am späten Abend noch etwas trinke: «Wenn ich ein Fussballspiel schaue und dazu ein Bier trinke, muss ich in der Nacht drei- oder viermal aufstehen.»
Bei Medikamenten wie Proscar dauert es mehrere Monate, bis sie wirken. Und sie erhöhen laut zwei Studien das Risiko für eine seltene, aber besonders aggressive Variante von Prostatakrebs. Die «Pharma-Kritik» empfiehlt, die Mittel «zurückhaltend» einzusetzen und Patienten gut zu überwachen.
Operation: Zwei von drei bekommen sexuelle Störungen
Eine Operation kommt nur dann in Frage, wenn Patienten trotz Medikamenten an starken Beschwerden leiden – zum Beispiel, wenn sie jede Nacht vier- oder fünfmal aufstehen müssen oder wenn sie regelmässig stark pressen müssen, um mit dem Wasserlösen zu beginnen. Die Operation bekämpft die Beschwerden wirksamer als jedes Medikament. Allerdings haben danach zwei von drei Männern einen Orgasmus ohne Samenerguss. Etwa jeder Zwanzigste wird durch die Operation sogar impotent.
Die Hersteller bestätigen, dass ihre Medikamente die genannten Nebenwirkungen und Risiken haben. Sie seien in den Packungsbeilagen erwähnt. «Prinzipiell» hörten sie wieder auf, wenn man das Mittel absetze, sagt die Firma Mepha.
Umstritten, ob gewisse Medikamente Prostatakrebs fördern
Zu den Studien, die ein höheres Risiko von aggressivem Krebs festgestellt haben, schreibt die Avodart-Herstellerin GSK: «Die Interpretation des Resultats bleibt kontrovers.» Sandoz stellt sich auf den Standpunkt: «Über einen möglichen ursächlichen Zusammenhang ist bisher keine Aussage möglich.»
Melisana AG räumt ein, dass es für ihre natürlichen Kürbiskapseln Kürbin bei Prostatabeschwerden keine Studien gebe. Die Kapseln seien kein Heil-, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel.