Marianne Kaufmann aus Luzern entdeckte nur durch Zufall, dass ihr Vater in der Rehaklinik Rheinfelden AG Psychopharmaka bekam. Der 88-jährige Schlaganfallpatient wirkte plötzlich teilnahmslos und sprach nicht mehr. Kaufmann erkundigte sich nach den verabreichten Medikamenten. Der leitende Arzt sagte ihr, dass der alte Mann Psychopharmaka bekomme. Damit beuge man einer Depression vor, unter der viele Schlaganfallpatienten irgendwann leiden würden.
Kaufmanns Vater bekam das Antidepressivum Cipralex und später zudem Madopar, ein Medikament gegen Parkinson. Cipralex kann manische Reaktionen und Madopar Depressionen auslösen. Laut Kaufmann fragten die Reha-Ärzte ihren Vater nie, ob er die Präparate wolle. Er sei gegenüber Medikamenten skeptisch eingestellt und «hätte sie 100-prozentig nicht genommen».
Reha-Klinik bestreitet vorbeugende Medikamentenabgabe
Auch sie selbst sei von den Ärzten «nie über Risiken oder Behandlungskosten informiert worden». Sie betont: «Mein Vater hatte keine Anzeichen einer Depression oder der Parkinson-Krankheit.» Deshalb forderte sie die Ärzte auf, die Präparate abzusetzen. Der Zustand des Vaters habe sich verbessert.
Thierry Ettlin, Chefarzt der Reha-Klinik Rheinfelden, widerspricht: «Wir haben stets angemessen über die verabreichten Medikamente informiert.» Er bestreitet, dass die Reha-Ärzte dem Patienten die Psychopharmaka «vorbeugend» verabreicht hätten: «Jede Medikamentenverschreibung erfolgt aufgrund von vorhandenen Symptomen.» Detailliertere Auskünfte will er aus Datenschutzgründen nicht geben.
Erika Ziltener, Präsidentin des Dachverbandes der Patientenstellen, weiss von vielen Reklamationen von Patienten und Angehörigen, die sich darüber beklagen, dass sie im Spital mangelhaft über Nutzen, Risiken und Alternativen der verabreichten Arzneimittel aufgeklärt wurden. Sie sieht bei den Ärzten «einen dringenden Handlungsbedarf».
Klar ist: Patienten haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Medikamente sie bekommen. Laut mehreren Bundesgerichtsurteilen muss der Arzt Zweck, Art, Risiken und Kosten der «vorgesehenen medizinischen Massnahmen» sowie «allfällige alternative Behandlungsmöglichkeiten» dem Patienten erklären, sodass er sie gegebenenfalls ablehnen kann. Ist ein Patient nicht urteilsfähig, muss der Arzt dessen gesetzlichen Vertreter einbeziehen.
Patientenaufklärung gehört zur «sorgfältigen Berufsausübung»
Das Gesetz schreibt jedoch nicht vor, in welcher Form ein Arzt die Patienten informieren muss. Der Ärzteverband FMH und die Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie raten den Mitgliedern, ihre Bemühungen schriftlich zu dokumentieren. Für die Verbände ist klar, dass die Patientenaufklärung bei der Verschreibung von Psychopharmaka und anderen Präparaten zur «sorgfältigen Berufsausübung» eines Arztes gehört. Die Aufklärung schütze das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und ermögliche es ihnen, die Behandlung zu unterstützen. Das erhöhe die Chancen auf einen Therapieerfolg.
Patienten: So erhalten Sie Informationen
- Notieren sie sich vor dem Gespräch mit dem Arzt Ihre Fragen zur Medikamentenbehandlung.
- Befragen Sie den Arzt so lange, bis Sie seine Angaben verstanden haben. Unter Umständen müssen Sie ihn dazu drängen, sein «Fachchinesisch» zu übersetzen.
- Angehörige haben nur ein Recht auf Aufklärung, wenn der mündige Patient einwilligt. Ist der Patient nicht urteilsfähig, müssen die Ärzte seine Vertreter entsprechend informieren.