Auf der Stromrechnung finden sich jeweils viele Zahlen – zum Energieverbrauch, zu den Netzkosten und zu den Verwaltungskosten. Was fehlt, ist ein Posten «Gewinn». Deshalb weiss heute kein Stromkunde, wie viel er an den Gewinn seines Lieferanten zahlen muss. Die Elektrizitätswerke sind Monopolbetriebe, die Haushalte und das Kleingewerbe können den Stromlieferanten nicht wählen. Sie haben auch zum Preis nichts zu sagen – obwohl die Stromunternehmen weitgehend Gemeinden und Kantonen gehören.
Laut Gesetz müssen die Gewinne «angemessen» sein
Das Gesetz sollte der Preispolitik der Elektrizitätswerke eine Grenze setzen. Darin steht, dass die Gewinne «angemessen» sein müssen. Was das genau bedeutet, ist zurzeit Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission Elcom als Aufsicht und einem einzelnen Elektrizitätswerk. Die Elcom kann laut Verordnung verfügen, dass «ungerechtfertigte» Gewinne aufgrund «überhöhter» Tarife gesenkt werden müssen.
Doch neue Zahlen der Elcom zeigen, dass die Stromversorger pro Kunde immer höhere Gewinne einfahren: Kleine Stromversorger, die wenig Kunden haben, machten im letzten Jahr im Durchschnitt 40 Franken Gewinn pro Rechnungsempfänger. In den beiden Vorjahren war es noch rund die Hälfte. Im Klartext: Die lokalen Strommonopolisten streichen pro Kunde plötzlich doppelt so hohe Gewinne ein.
Bei den grossen Stromversorgern mit vielen Kunden sieht es nicht besser aus: Die Gewinne pro Rechnungsempfänger sind im Mittel von 20 Franken im Jahr 2010 auf aktuell 30 Franken gestiegen. Zudem verrechnen die grossen Energieunternehmen ihren Kunden höhere Kosten für die Rechnungsstellung und den Kundenservice als die kleinen Stromversorger. Im vergangenen Jahr stellten sie pro Kunde im Mittel 60 Franken dafür in Rechnung. Bei den kleinen Stromversorgern lag der Mittelwert der Energievertriebskosten bei 45 Franken pro Kunde.
Warum kalkulieren die Stromversorger von einem Jahr zum anderen plötzlich doppelt so hohe Gewinne pro Kunde ein? Ganz einfach: Die Elcom gab bekannt, ab welcher Gewinnschwelle sie Verdacht auf überhöhte Tarife schöpft. Die Aufsicht kommunizierte, dass sie die Kostenrechnungen erst genauer untersucht, wenn pro Kunde mehr als 95 Franken für Kosten und Gewinn überwälzt werden. Liegt die Summe im Energievertrieb darunter, interessiert sich die Aufsicht nach eigenen Angaben «aus Prioritätsgründen» nicht dafür.
Tarife liegen bei kantonalen Werken meist tiefer
Stefan Burri von der Elcom gibt zu: «Es stimmt, dass einige Stromversorger die Bekanntgabe unseres Untersuchungskriteriums ausgenützt haben und ihre Vertriebsgewinne im letzten Jahr erhöhten.» Er rechtfertigt das Vorgehen mit der Überlastung der Elcom.
Burri gibt nicht bekannt, welche Stromverteiler über die Stränge geschlagen haben. Die Elcom verweist lediglich darauf, dass andere Elektrizitätsunternehmen ihre Tarifpolitik nach Service-public-Kriterien gestalten, das heisst, den Tarifspielraum nicht ausnützen und keine oder nur geringe Vertriebsgewinne in den Preis einkalkulieren. Mit anderen Worten: Je nach Tarifpolitik des lokalen Stromversorgers muss ein Haushalt keine oder sehr hohe Gewinne finanzieren.
Dabei hängt die Tarifpolitik wesentlich von den Besitzern des Elektrizitätswerks ab: Eine Studie der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich zeigte, dass die Tarife von Stromversorgern mit privaten Aktionären deutlich höher sind als jene von Elektrizitätswerken, die zu 100 Prozent Gemeinden und Kantonen gehören (saldo 15/12).
24 Stromversorger mussten bereits die Kosten senken
Immerhin: Ganz untätig schaut die Elcom dem Treiben der Stromversorger nicht zu. In 24 Fällen erwirkte sie bisher eine Senkung der Energievertriebskosten und -gewinne. Bei den Centralschweizerischen Kraftwerken CKW verfügte die Aufsicht beispielsweise eine Senkung von 6 Prozent. Das zu viel bezahlte Geld erhalten die rund 200 000 Innerschweizer Kunden zurück. Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Zudem will die Elcom mehr Transparenz schaffen. Die Aufsichtsbehörden planen, dass alle Stromkonsumenten via Internet abrufen können, wie hoch die Vertriebsgewinne ihres Elektrizitätswerks sind oder wie oft die Kunden Stromausfälle erleiden.
Stromtarife: Kleinkunden können ihren Stromlieferanten nicht frei wählen
Grossverbraucher können günstige Stromtarife aushandeln, weil es zurzeit zu viel Strom auf dem Markt gibt. Wer weniger als 100 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht, muss den Strom aber von seinem lokalen Elektrizitätswerk beziehen. Ein Durchschnittshaushalt verbraucht jährlich 4500 Kilowattstunden und erhält den Strom deshalb automatisch vom Elektrizitätswerk des Wohnorts. Der Bundesrat plant, dass künftig auch Kleinkunden die Wahl haben. Gemäss aktuellem Zeitplan soll die Auswahlmöglichkeit für Haushalte per 1. Januar 2017 realisiert werden, so das Bundesamt für Energie. Das Datum wurde bis heute immer wieder hinausgeschoben.
Preisüberwacher: Meierhans: «Da stimmt etwas nicht»
Das Vorgehen der Elcom führe dazu, dass Kunden zu hohe Gewinne finanzieren müssten. Das sagt Preisüberwacher Stefan Meierhans.
Die Elektrizitätskommission Elcom gab den Elektrizitätswerken bekannt, ab welchem Betrag sie deren Rechnungen überprüft: Liegt die Summe von Kosten und Gewinn im Energievertrieb unter 95 Franken pro Kunde, interessiert sich die Aufsicht nicht dafür.
«Die Elcom führt durch diese Maximalschwelle de facto einen behördlich festgelegten Preis ein», kritisiert Preisüberwacher Stefan Meierhans. Wer darunterliegt, habe einen Anreiz, Kosten und Gewinn bis zu diesem Betrag zulasten der Kunden zu erhöhen.
Meierhans will die 95-Franken-Schwelle mit der Elcom diskutieren. Diese ist zwar unabhängig, der Preisüberwacher hat aber ein formelles Empfehlungsrecht. «Wir hatten bereits angeregt, die Schwelle kontinuierlich zu senken. Das werden wir wieder aufnehmen», sagt er. Der Elcom-Kostenvergleich sei sinnvoll. Meierhans empfiehlt jedoch, die Praxis schrittweise zu verschärfen.
Zudem bezeichnet der Preisüberwacher die Situation für die kleinen Stromkunden als unbefriedigend: «Der Strom wurde noch nie so billig gehandelt wie heute.» Doch während Grossverbraucher zurzeit günstige Tarife aushandeln könnten, können Kleinkunden nicht vom tiefen Strompreis profitieren. Meierhans: «Da stimmt etwas nicht.»