Medizinische Hilfsmittel: Bund sorgt für hohe Preise
Patienten zahlen pro Jahr bis zu 90 Millionen Franken zu viel für medizinische Hilfsmittel. Dem Bundesamt für Gesundheit eilt es nicht mit einer Änderung.
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saldo 07/2013
17.04.2013
Eric Breitinger
Hundert Blutzucker-Teststreifen Marke Freestyle Precision kosten in der Winterthurer Adler-Apotheke Fr. 87.60. Bei der österreichischen Versandapotheke Apo Rot oder dem deutschen Diashop.de gibt es dasselbe Produkt für Fr. 57.30. Die Mehrheit der Krankenkassen zahlt für hundert gleichwertige Teststreifen bei einem Grosshändler 45 Franken – also etwa die Hälfte des Preises, den die meisten Schweizer Apotheker verlangen. Mit den Streifen müssen Diabetiker reg...
Hundert Blutzucker-Teststreifen Marke Freestyle Precision kosten in der Winterthurer Adler-Apotheke Fr. 87.60. Bei der österreichischen Versandapotheke Apo Rot oder dem deutschen Diashop.de gibt es dasselbe Produkt für Fr. 57.30. Die Mehrheit der Krankenkassen zahlt für hundert gleichwertige Teststreifen bei einem Grosshändler 45 Franken – also etwa die Hälfte des Preises, den die meisten Schweizer Apotheker verlangen. Mit den Streifen müssen Diabetiker regelmässig ihre Insulinwerte kontrollieren.
Patienten zahlen in der Schweiz nicht nur für Diabetiker-Teststreifen, sondern für die meisten medizinischen Hilfsmittel zu viel. Das Bundesamt für Gesundheit könnte das ändern. Denn es legt die Höchstbeträge fest, welche die Krankenkassen den Versicherten in der Grundversicherung für rezeptpflichtige Hilfsmittel rückvergüten müssen. Apotheker, Arztpraxen und andere Abgabestellen könnten die Preise der Hilfsmittel zwar frei bestimmen. Sie orientieren sich aber meist an den Beträgen, die das Bundesamt festsetzt.
Deutschland, Österreich: Kassen handeln Preise direkt aus
Santésuisse hält den grössten Teil dieser Preise für überrissen. Je nach Produktegruppe liegen sie gemäss dem Verbandsexperten Stephan Colombo «15 bis 30 Prozent» über dem, was deutsche oder österreichische Krankenkassen für die gleichen Hilfsmittel zahlen müssen. Beispiele:
- Kompressionswadenstrümpfe: Schweizer Kassen müssen Fr. 73.80 bis Fr. 86.40 pro Paar bezahlen, deutsche Krankenkassen für die gleichen Spezialstrümpfe nur 52 bis 72 Franken. Das sind 30 Prozent weniger.
- Inkontinenzprodukte: Schweizer Kassen vergüten unsterile Urin-Bettbeutel mit maximal 95 Rappen pro Stück, deutsche mit 59 Rappen und österreichische mit 38 Rappen. Für die sterile Variante zahlen hiesige Kassen Fr. 1.70, deutsche höchstens Fr. 1.15, österreichische Kassen nur 62 Rappen. Preisunterschiede: bis 250 Prozent.
Für das Preisgefälle gibt es zwei Hauptgründe: Erstens handeln die Kassen in Österreich und Deutschland die Preise direkt mit den Herstellern aus. Das sorgt für tiefere Preise. In der Schweiz hat allein das Bundesamt das Sagen. Zweitens überprüft das Bundesamt seine Tarife nur selten. Gemäss Gesetz müssten die Kosten eigentlich den «Durchschnittspreisen» im Ausland und der Schweiz entsprechen. Wie das gehen soll, darüber sagt der Gesetzgeber nichts. Laut saldo-Recherchen änderte das Bundesamt in den letzten drei Jahren nur 50 Preise seiner «Mittel- und Gegenstände-Liste», Teststreifen inklusive. Rund 500 Preise blieben unverändert.
Santésuisse-Experte Stephan Colombo ortet bei Hilfsmitteln ein Sparpotenzial bis zu 90 Millionen Franken im Jahr. Heute zahlen die Kassen dafür geschätzte 700 Millionen Franken pro Jahr. Preisüberwacher Stefan Meierhans fordert, jeden einzelnen Tarif alle drei Jahre in einem Auslandsvergleich zu überprüfen.
Bundesamt verspricht seit Jahren ein besseres Preissystem
Michaela Kozelka vom Bundesamt für Gesundheit räumt ein, dass bisher keine «regelmässige Überprüfung» der Tarife der Hilfsmittel stattfindet. Ihre Behörde arbeite aber an einem besseren System der Preisermittlung. Das Gleiche versicherte das Bundesamt bereits vor drei Jahren (saldo 12/10). Wann mit konkreten Änderungen zu rechnen ist, lässt die Behörde weiter offen: Bis die Revision in Kraft trete, dürfte es nach den Worten der Sprecherin noch «einige Jahre» dauern.