Bei den Medikamenten gibt es enormes Sparpotenzial: 6,84 Milliarden Franken mussten Krankenkassen im vergangenen Jahr für Medikamente bezahlen. Zwei Jahre zuvor waren es noch 6,18 Milliarden.
Um die Kosten in den Griff zu kriegen, überprüft das Bundesamt für Gesundheit jedes Jahr rund ein Drittel der Arzneimittelpreise. Dieses Jahr sind das 543 Originalmedikamente. Erstmals wendet das Bundesamt bei dieser Preisüberprüfungsrunde eine neue Regelung an. Bisher verglich die Behörde die Schweizer Medikamentenpreise nur mit den Preisen in Europa. Neu fliesst zur Hälfte auch noch ein Vergleich mit Konkurrenzprodukten ein, die für die gleiche Behandlung eingesetzt werden. Der Grund: Die Pharmaindustrie hatte sich gegen den alleinigen Vergleich mit den Auslandspreisen gewehrt – und war dagegen erfolgreich bis vor Bundesgericht gezogen.
Die neue Preisüberprüfung zeigt, dass Pharmafirmen von der Neuregelung profitieren. Nur bei 53 Prozent der Medikamente verfügte das Bundesamt eine Preissenkung. So sollen die Kassen 2019 insgesamt rund 100 Millionen Franken sparen. Bei 47 Prozent der Medikamente bleibt der Preis gleich – obwohl Medikamente in Europa günstiger sind und der Euro-Wechselkurs seit der letzten Überprüfung von Fr. 1.28 auf Fr. 1.11 gefallen ist.
Vergleichspreise sind zu hoch angesetzt
Bereits die Regeln beim Auslandspreisvergleich spielen der Pharmaindustrie in die Hände. So vergleicht das Bundesamt die Schweizer Medikamentenpreise mit den Preisen in neun europäischen Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Belgien, die eher hochpreisig sind. Nicht berücksichtigt werden hingegen günstigere Länder wie Italien und Spanien. In Spanien zahlt man beispielsweise für 40 Tabletten des Rheumamittels Voltaren von Novartis umgerechnet Fr. 1.90. In der Schweiz kosten schon 20 Tabletten 7.70 Franken. Das macht 15.40 Franken für 40 Tabletten – also acht Mal so viel wie in Spanien. Voltaren ist dort zudem rezeptfrei, in der Schweiz hingegen nur mit Rezept erhältlich. Das verursacht zusätzlich Arztkosten.
Zudem zieht das Bundesamt für Gesundheit für seine Berechnungen die offiziellen Listenpreise der Vergleichsländer bei. Doch diese Preise werden dort von den Krankenkassen meist gar nicht bezahlt. Im Ausland verhandeln Kassen und Behörden in der Regel direkt mit den Pharmafirmen. Über die tatsächlich bezahlten Preise wird Stillschweigen vereinbart. Preisüberwacher Stefan Meierhans kritisiert diese Praxis: «Das Bundesamt vergleicht fiktive, überhöhte Schaufensterpreise mit den realen Schweizer Preisen.» Die Medikamentenpreise in Europa seien in Wahrheit noch günstiger als offiziell ausgewiesen.
Auch den neuen Vergleich mit Konkurrenzprodukten wendet das Bundesamt sehr pharmafreundlich an. Beispiel Rheumamittel Remicade: Das Medikament des US-Pharmakonzerns MSD steht mit Kosten von 127 Millionen Franken auf Rang 1 im Helsana-Arzneimittelreport der kostenträchtigsten Medikamente. Das Bundesamt gibt nicht bekannt, wie es die Preise überprüft. Der K-Tipp hat deshalb mit Unterstützung des Krankenversicherungsverbands Curafutura den Preisvergleich selbst durchgeführt.
Ergebnis: Für die Behandlung eines Rheumapatienten mit Remicade verlangt MSD in der Schweiz rund 14 000 Franken pro Jahr. In den europäischen Vergleichsländern bekommt der Pharmakonzern im Durchschnitt umgerechnet 9300 Franken pro Jahr. Das ist rund ein Drittel weniger.
Trotzdem verfügte das Bundesamt keine Preissenkung – wegen des neuen Vergleichs mit Konkurrenzprodukten. Denn das Amt verglich den Preis von Remicade bloss mit dem viel teureren Enbrel von Hersteller Pfizer. Damit kostet die Behandlung eines Rheumapatienten in der Schweiz knapp 21 000 Franken pro Jahr, also 50 Prozent mehr.
Sparpotenzial allein bei Remicade: 18 Millionen
Das Bundesamt hätte stattdessen deutlich günstigere Konkurrenzprodukte zum Vergleich heranziehen können. Doch es berücksichtigt bei patentgeschützten Medikamenten nur patentgeschützte Konkurrenzprodukte und nicht auch Medikamente ohne Patentschutz oder Generika, die wesentlich günstiger sind. Kommt hinzu: Das Amt nahm nicht den aktuellen Auslandspreis von Enbrel, sondern den alten Preis, der noch auf dem zu hohen Euro-Wechselkurs von Fr. 1.28 basiert. Für Preisüberwacher Stefan Meierhans ist das «unbegreiflich». Das Bundesamt solle beim Konkurrenzprodukt den Preis nehmen, der aktuell in den europäischen Vergleichsländern bezahlt wird. Und nicht den überhöhten Preis, der gar nicht mehr gültig sei.
«Das Ergebnis zeigt, wie pharmafreundlich das Regelwerk ist, mit dem der Bund die Preisüberprüfung durchführt», sagt Andreas Schiesser von Curafutura. Die Verordnungen widersprächen teilweise dem Gesetz. Denn dieses fordert, dass Medikamente wirtschaftlich und möglichst günstig sein müssen. Doch allein bei Remicade könnten die Kassen pro Jahr mindestens 18 Millionen Franken sparen, rechnet Schiesser vor.
Das Bundesamt erklärt, mit der Art und Weise, wie es die Überprüfung durchführe, halte es sich «strikt an die gesetzlichen Grundlagen».